Dienstag, 7. Dezember 2010

Besessen von Technik…

Peugeot RCZ


Ist Ihnen die Anzeige auch schon aufgefallen? Man sieht ein dunkelgraues Coupé auf einer dunkelgrauen Fläche. Darüber steht, in einer irgendwie sehr »designten« Schrift: »sie WOLLEN IHN besitzen.«, darunter, in derselben Type. »er wird SIE besitzen.«
Sie erinnern sich vielleicht, dass das abgebildete Auto irgendwie schick aussah. Haben Sie auch noch im Kopf, dass es sich um einen Peugeot handelte?


Das Coupé, das so beworben wird, verdankt seine Existenz ganz offensichtlich dem Erfolg – oder besser: dem Image – des Audi TT. Auf den ersten Blick strahlt der Franzose ähnliche Konsequenz und Stringenz aus wie der ältere deutsche Bruder, obwohl das Design – auf den zweiten Blick – alles andere ist als aus einem Guss. Zwischen den Rädern finden wir hier viel VW: glatte, Flächen, gerade Kanten, eine kräftige, schnurgerade Toronado-Linie, selbst der kleine Scherz mit der ganz am Ende der Tür hochgezogenen Fensterlinie kommt so trocken rüber, dass wir uns das durchaus auch an einer Studie aus Wolfsburg vorstellen könnten. Dazu passt und gehört natürlich auch der aluminiumfarbige Dachbogen. Man spricht Deutsch, doch – jetzt auch in Frankreich.

Aber nicht überall: Front und Heck des Renners sind viel weicher, typisch Peugeot, mit spitzig weit nach hinten auslaufenden Leuchten, einem Lufteinlass, der noch an die Riesenmäuler erinnert, mit denen die Marke Anfang der Nuller Jahre auffiel – und mit einer ziemlich dramatischen, wenn auch total beherrschten Plastizität. Es ist eine Leistung, die semiotisch eher divergenten Elemente in eine am Ende so harmonische und stimmige Gesamtform zu bringen. An dem ganzen Auto gibt es keine Stelle, von der man sagen könnte, sie sei schlecht gemacht! Und das gilt auch für die Gesamterscheinung, die gar nicht so schizophren wirkt, wie der streng analysierende Betrachter es sieht und beschreibt…


Um also das leichte Unbehagen angesichts des Autos mit dem wohl auch für Franzosen nicht schön zu artikulierenden Namen RCZ in Griff zu bekommen, wenden wir uns der Semantik zu. Und hier hilft uns die eingangs erwähnte Anzeige, genauer: die verwendete Schrift.


Wir haben hier eine modernistische Abart einer geometrischen Schrift der klassischen Moderne vor uns, eine Futura oder Avantgarde (ja, so hießen Schriften mal). Einige Buchstaben wirken allerdings deformiert, andere sind mit seltsamen, serifenartigen Verlängerungen versehen, ein wüst konstruiertes S macht auf Cyberpunk. Das ist ganz interessant, denn die Idee der Moderne, mit ihren geometrisch konstruierten Formen und ihrem Verzicht auf funktionslosen Schmuck, war ja die Befreiung des konsumierenden Menschen – von der Täuschung, von der Übertreibung, auch vom Zwang des Prestige. Es ging in der klassischen Moderne nicht um die Herrschaft der Technik, ein gerne zitiertes Missverständnis, sondern es ging um die Überwindung der Herrschaft des Konsums.


Diese Schrifttype ist also im Kern neutral, nüchtern, sachlich. Und dann trägt sie einzelne Elemente, die diese Idee vollständig konterkarieren. Man könnte sagen, dass es sich hier um die penetrant postmoderne Karikatur einer Avantgarde-Schrift handelt.
Und damit zurück zum Auto: Auch was hier sachlich ist, ist nicht aus Überzeugung sachlich. Jeder Quadratzentimeter Oberfläche ist ein Zitat, und so sagt die oben beschriebene Seitenpartie: Ich bin ein anständiges technisches Produkt. Die Front sagt: Ich bin ein dynamischer Franzose und setze mich durch. Die Dachbögen sagen: Ich bin ein Realität gewordener Designtraum (und müsste eigentlich unbezahlbar sein). Und obwohl das ganze so überzeugend wirkt, ist nichts daran mit Überzeugung gemacht, es ist nicht weltanschaulich oder ideologisch oder gar politisch motiviert (wie es die klassische Moderne war), sondern alles folgt dem Kalkül des Marketing. Insofern ist der RCZ dann doch pur: Er ist die pure, Form gewordene, emotionale Manipulation des Konsumenten. Ob die Juroren des reddot design award den RCZ dafür mit einem best of the best 2010 bewertet haben?


Wenn es noch Zweifel an dieser Lesart gibt, dann werden sie von der zitierten Anzeige restlos zerstreut. Da steht: »Sie wollen Ihn besitzen.« Das ist erst mal eine kühne Behauptung, ganz im Geiste des durch Youtube geprägten Konzeptes, dass zum Star wird, wer sich selbst toll findet und das überzeugend kommuniziert. Hier ist weder von einer Leistung noch von einer Idee im eigentlichen Sinne die Rede. Ein Foto und die befehlsartige Headline scheinen zu genügen, um den gewünschten Effekt der Anzeige zu erreichen. Oder gibt es doch eine Art Versprechen, eine angebotene Leistung, die das Fahrzeug sein Geld wert sein und es gegenüber anderen Angeboten überlegen sein lässt? »Er wird sie besitzen,« lesen wir dann. Das Auto uns. Besitzen. Wir fragen uns da spontan, ob es so etwas wie Masochismus in der Auto-Erotik gibt (Pardon wegen des Wortspiels). Können Menschen das wirklich toll finden: Besessen zu sein von einem leistungsmäßig doch eher mediokren Technikgegenstand? Mal abgesehen von der Glaubwürdigkeit: Ist das echt ein Ziel? Vom eigenen Auto besessen… Wie sieht die Idee vom guten Leben aus, in das so eine komische kleine Perversion passt?


Man wird mir vielleicht antworten, dass es sich hier um Spaß handele, oder dass es eben Spaß mache, einen Gegenstand mit Eigenleben zu bändigen. Ja, werde ich dann nicken, genau das meine ich: Wir wollten ein leichteres Leben, wir wollten Technik, die uns dient, wir wollten Raum für unsere Identität, unsere Träume, unsere Fragen. Wir wollten Freiheit.


Hier aber wird die Herrschaft des Produktes über den Menschen gefeiert, und der – findet das geil.

So macht das Geld das also, dass es die Welt regiert.

Mittwoch, 10. November 2010

Eine Linguistik der Formensprache?

Designtheorie


Im Folgenden möchte ich einen Gedanken beschreiben, der sich bei mir noch im Geburtsstadium befindet, der aber, schon in dieser embryonalen Form, helfen kann, etwas Struktur in das Denken und Schreiben über Fahrzeuggestaltung zu bringen. Ich leihe mir dafür Begriffe aus der Sprachwissenschaft, und ich hoffe, die »schwierigen« Worte stehen dem Verständnis dieser eigentlich einfachen Unterteilung nicht im Weg.


Wir reden oft über gelungenes, gutes Autodesign oder über schlechtes, aber diese Kriterien sind eigentlich total ungeeignet, um dem gerecht zu werden, was Designer im Allgemeinen und Autodesigner im Besonderen tun. Man kann ihre Tätigkeit, um wenigstens etwas Ordnung zu machen, in drei Kategorien oder Phasen einteilen, die unabhängig voneinander betrachtet werden können.


Semantik: was wird gesagt (Bedeutung)


Die subtilste Dimension, von der aber die stärkste, ursprünglichste Wirkung auf den Betrachter ausgeht ist die der Bedeutung, die Semantik. Wenn wir von Semantik reden, dann geht es uns um das , was gesagt wird, um die Botschaft des Ganzen: Stärke, Schnelligkeit, Dynamik, Macht, Verfügbarkeit, Treue – das sind ein paar der semantischen Begriffe, die wir im Fahrzeugdesign finden werden.


Semiotik: womit wird es gesagt (Zeichen)


Die zweite Ebene, die sich vielen Betrachtern in ihrer Bedeutung als Kategorie gar nicht erst erschließt, obwohl über sie wahrscheinlich am Meisten gesprochen wird, ist die der Semiotik, also das Reich der Zeichen: Womit wird das gesagt, was gesagt wird, welche Zeichen werden benutzt, welche formalen Mittel kommen zum Einsatz. Hier reden wir über die Spannung von Flächen, die Schärfe oder Weichheit von Kanten, die Oberflächengrafik, das Gesicht des Autos, kurz: über das Vokabular, dessen sich der Designer bedient.


Syntax: Wie wird es gesagt (Form)


Die dritte, handwerklichste Kategorie ist die der Syntax, also die der Beherrschung der (Form-) Sprache. Und obwohl wir es hier mit der am wenigsten abstrakten Ebene zu tun haben, hat das, was hier getan wird die nachhaltigste Wirkung. Es ist wie beim Sprechen: Wenn das, was gesagt wird – und sei es rhetorisch noch so raffiniert gedacht – mit falschem Satzbau und schlechter Aussprache hervor genuschelt wird, dann kommt nichts beim Hörer an. Hier geht es also um Designhandwerk, um Fugenverläufe, Modellierung, und um den Bezug zwischen der Form und der Technik.

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In den bisherigen Artikeln habe ich, außer beim BMW X6, auf eine Kritik der Semantik weitgehend verzichtet. Es ist immer etwas heikel, den Inhalt eines Werkes – sei es ein Buch, ein Gemälde oder eben ein Design – objektiv zu bewerten, denn man bewertet eigentlich nur die Idee und das Denken des Autors. Ich persönlich finde, dass man das nur in Fällen sehr krasser Ausrutscher tun kann; Botschaften von Intoleranz, Unterdrückung oder Menschenverachtung müssen in Frage gestellt werden, aber das übliche Imponiergehabe auf unsren Straßen, in dessen Diensten die Designer größtenteils und nicht ganz freiwillig stehen, lässt sich nur als Gesamtphänomen kritisieren, kaum individuell. Interessanter ist da schon, sich die Beziehung der drei Kategorien untereinander anzusehen. Wenn z.B ein sehr starkes Signal von Stärke mit mittelmäßigen formalen Mitteln, und dann noch handwerklich schlecht, umgesetzt wird, wird der gewünschte Effekt verfehlt und ein ihm entgegengesetzter erzielt: Der von Lächerlichkeit. Für die, die Augen im Kopf haben, ist es dann recht schmerzlich zu sehen, wenn das semantische Geschrei trotz der miesen Umsetzungsqualität ernst genommen wird.


Ungefähr hier liegt auch der Grund für die auf dieser Seite immer wieder kehrende Kritik an Mercedes-Produkten. Man entscheidet sich bei der Marke mit dem Stern in der Regel für sehr starke Dominanz-Symbole, für eine Semantik der Macht also. Das ist im Kampf der Konkurrenten einer der möglichen Wege, seine Position zu halten und spricht bestimmte Kunden sicher an. Auf der semiotischen Ebene sehen wir dabei ein etwas heterogenes Bild: Verschiedene Teile des Fahrzeuges sagen zwar ähnliches, aber in oft unterschiedlichen Sprachen. Das größere Problem entsteht aber durch eine handwerklich unbefriedigende Umsetzung der Ideen. Die Wirkung wird durch ein Menge technischer Krücken erreicht, und die semantisch angekündigte Beherrschung zeigt sich im Produkt selbst nicht. Sichtbar wird vielmehr ein Kampf zwischen dem, was die Designer wollen und dem, was die Ingenieure umsetzen. Dann werden Fensterflächen durch Blinddeckel zur gewünschten Form ergänzt. Dann stören Fugenverläufe die Form, anstatt sie zu unterstützen. Dann passen Details nicht zum Gesamtbild und sehen aus wie Fremdkörper. Diese Probleme, die eigentlich in den Bereich der Syntax gehören, machen schließlich ihre eigene Aussage. Sie sprechen, ich habe es gerade schon angedeutet, von einem Kampf zwischen den verschiedenen Fachleuten, die an diesem Produkt gearbeitet haben. Das ist schade. Vielleicht hat ein Auto wie der letztens betrachtete CLS in seiner Modellierung eine Qualität auf – oder über – BMW-Niveau. Wenn aber an neuralgischen Punkten Kompromisse gemacht werden, zugunsten der Funktion oder aus Gründen der Kosten, dann bleibt dieses qualitative Potential ungenutzt.


Apropos BMW: Zu Zeiten von Chris Bangle wurden hier Autos gemacht, die im Bereich der Syntax über jeden Zweifel erhaben waren. Die absolute Beherrschung der Techniken des Design war unübersehbar und wurde selbstbewusst kommuniziert. Nur: Welche Sprache nutzten die BMW-Designer, und was sagten sie damit? Diese Frage lässt sich für die Modelle der Bangle-Zeit kaum beantworten und das dürfte der Grund sein, warum viele, vor allem in Europa, mit dieser Art der Gestaltung nicht gut zurecht kamen. Adrian van Hooydonks Team geht einen anderen Weg und legt offensichtlichen Wert auf semiotische Qualität, Homogenität und Schlüssigkeit. Es bleiben nur kleine Defizite in Sachen Wirkungssicherheit, es besteht immer noch eine hohe »syntaktische« Qualität, und die Semantik ist bei den neuen Modellen zurückhaltend aber kraftvoll. Wenn es überhaupt ein Problem gibt – und hier taucht ein Kriterium auf, das sich der hier vorgestellten Schematik entzieht – dann ist es eine Art von »Zuviel«, außerhalb der BMW-Welt kann man diese Produkte als durchaus overstyled empfinden.


Eine andere Marke, die auf allen drei Ebenen ein hohes Niveau erreicht, zumindest bei einigen Modellen, ist Opel. Die Frage, warum die Rüsselsheimer es trotzdem nie in die erste Liga des Automobildesign schaffen, ist ziemlich interessant. Eigentlich machen sie alles richtig, und man hat bei jedem neuen Modell das Gefühl: Jetzt haben sie es geschafft. Zwei Jahre später wirkt das selbe Modell altbacken und ungeschickt gemacht. Ich vermute, dass der Grund hierfür in der verwendeten Sprache liegt, also ein semiotisches Problem: Diese Sprache ist nämlich theoretisch entwickelt, das heißt, ihr fehlt Authentizität. Weil sie am Reißbrett entstanden ist, ist sie zunächst sehr effektiv, und aus genau demselben Grunde altert sie. Im Grunde haben wir es hier mit Methoden zu tun, die in der Mode oder, vielleicht richtiger gesagt, im Kommunikationsdesign angewandt werden. Die Semiotik von Opel hat etwas Jingle-haftes, sie ist einprägsam, schnell verständlich und wirkstark. Aber wie jeder Jingle führt auch diese Art der formalen Kommunikation recht bald in den Überdruss. Wir lernen daraus, dass die Beherrschung der Mittel nicht alles ist, wenn man nachhaltig gestalten will, man muss sich auch für die richtige – für eine gute – Sprache entscheiden, so wie man ganz selbstverständlich die richtigen technischen Mittel zur Umsetzung einer Formidee wählen wird.


Diese quasi-linguistische Betrachtungsweise von Autodesign steckt noch in den Kinderschuhen. Im vorliegenden Text wurde ihre Anwendung auf bestimmte Aspekte bzw. bestimmte Marken schon mal kurz ausprobiert, und das wird sicher nicht der letzte derartige Versuch sein. Wenn sie sich bewährt, kann daraus eines Tages ein System zur umfassenden objektiven Beurteilung von Fahrzeugdesign werden. Das wäre das Ziel.


PS: Einen interessanten wissenschaftlichen Ansatz bei der Betrachtung der semantischen Aspekte hat Dr. phil Peter Rosenthal entwickelt: Cardesign-Analytics

Ähnliches wird an der Uni Wien, Fachbereich Anthropologie untersucht: Face and Body


PPS: Sollte einem Leser ein ähnlicher Denkansatz aus anderen Quellen bekannt sein, so bitte ich dringend um Nachricht – gerne mit Quellenangabe.

Dienstag, 12. Oktober 2010

Audi und der Pfad der Tugend.

Audi 100 Coupé, Audi quattro, Audi A4, Audi quattro Concept


Es gibt in der Geschichte des Audi-Design einen Moment, den ich schon seinerzeit als »Sündenfall« empfunden habe, und ich sehe es noch heute so: Die große Modellpflege des Audi A4 (B6) 2004.


Die coole, scharf geschnittene und mit Witz gestaltete Mittelklasselimousine bekam eine neue Front und ein neues Heck, die Seitenfallung wurde geändert und, vor allem, der Charakter des Ganzen wurde dabei recht grundsätzlich verändert. Ich weiß noch, dass Bekannte, die ihr Geld z.B. als Verkäufer, als Finanzleute oder in der Betriebsorganisation verdienen, diese Veränderungen gar nicht hoch genug loben konnten. »Endlich ein Audi, der nach was aussieht«, war der Tenor. Als Gestalter sah ich die Sache etwas anders, doch es war schier unmöglich, diesen Damen und Herren aus dem mittleren Management zu erklären, warum die Designqualität des modellgepflegten A4 (der als B7 eine eigene Evolutionsstufe darstellte) weit hinter der des Vorgängers zurückblieb.


Das Drama, in mehrfachem Sinne, spielte sich vor allem im Bereich der Scheinwerfer und der Heckleuchten ab. Sowohl vorne als auch hinten bekamen die Leuchteinheiten eine wellenförmige Unterkante, ein dynamisch gemeintes Formelement, das wohl Walter de' Silva durchgesetzt hatte (ähnliches war wenige Jahre vorher bei Seat zu sehen gewesen). Zusammen mit dem an diesem Modell nun erstmals eingesetzten Singleframe-Grill wirkt das vorne erstaunlich weich und unstrukturiert. Anders gesagt: Wo beim B6 das isolierte Detail wenig und die Gesamtwirkung fast alles gilt, hat sich der Schwerpunkt nun verschoben. »Gestaltete« Details werden dem vorhandenen Grundkörper hinzugefügt, das große Thema gerät zugunsten gefälliger Stellen aus dem Auge. Besonders deutlich wird das am Heck der Limousine, wo ein ganz neues Thema, eine Abrisskante in Form eines umgedrehten U, eingeführt wird, das der Plastizität des Gesamtentwurfs nicht ganz gewachsen ist. Beim Avant fehlt diese Kante, und dadurch entsteht ein weicher, kugeliger Heckabschluss, der in seiner Plastizität überhaupt nicht mehr dynamisch wirkt, und in den die Heckleuchten mit ihrer bewegten Kontur ohne rechten Bezug eingesetzt sind. Die raffinierten Interferenzen zwischen Grafik und Körper, zwischen 3D und 2D, die den B6 prägen und ihn zu einer Art »Novelle für die Augen« machen – wenn man so etwas lesen kann – fehlen beim B7. Gewonnen wurde eine bessere Verständlichkeit der einzelnen Gestaltungslemente. Und hier dürfte auch der Grund für den großen Erfolg dieser Modellpflege im Markt sein. Wahrscheinlich hat man bei Audi recht bewusst in Kauf genommen, ein weniger raffiniertes Auto zu machen, wenn es sich besser verkauft.


Im Laufe der Jahre sind mit der neuen, weniger technischen und gefälligeren Linie viele neue Audis entstanden, welche die kleinen gestalterischen Schwächen des B7 nicht mehr hatten. Im Gegenteil, beim Betrachten der Reihe neuer Modelle, die seit dem auf den Markt kamen, kann man »Einer schöner als der andere« sagen, ohne rot zu werden. Für mich persönlich schien mit dem A5 Sportback ein Niveau erreicht, das sich in Sachen technischer Perfektion, Eleganz und Homogenität kaum mehr übertreffen ließ. Die kleinen Albernheiten der frühen Nuller Jahre sind ausgebügelt, eine Linie wurde gefunden, Grafik und Volumen haben ein interessantes und gleichzeitig harmonisches Verhältnis zueinander, und durch subtil modellierte Kurven kommt kräftig Spannung in den Körper.


Beim Umgang mit nahezu perfekt gestalteten Dingen stellt sich eine charakteristische Müdigkeit ein; es macht ja immer ein bisschen traurig, wenn man erkennt, dass eine Entwicklung allmählich an ihr Ende kommt. Mit dem A7 und den in Paris während der letzten Tage präsentierten Studien zeigt Audi, dass man solch edler Langeweile zu entkommen entschlossen ist – und zwar, ohne seltsame Experimente zu starten. Der Trick besteht in der Rückbesinnung auf die eigene Geschichte. Das Heck des A7 ist am besten als Referenz an das Audi 100 Coupé von 1970 zu verstehen, und es ist faszinierend, den Klassiker und seinen Urenkel zu vergleichen. Beide gewinnen dabei. Trotz der etwas überraschenden Wendung zu einfacheren, geometrischen Formen am Heck (der A5 Sportback hat hier gekurvte Lichtkanten mit etwas weicherem Kantenradius und eine bewegtere Plastizität) ist das Ergebnis vollkommen homogen. Die beim A5 noch so wichtigen Spannungsbögen der Akzentlinie über den Radausschnitten sind wieder verschwunden, doch die straffe, fast gerade Linie, die sich über den A7 spannt, hat eher noch mehr Zug, mehr Dynamik. Was für ein klares, selbstbewusstes und unprätentiöses Auto wurde hier geschaffenen! Es ist wie ein Maßanzug aus gutem Material mit perfektem Schnitt. Mancher wird sich daran ärgern und die Reduktion der Mittel kritisieren, doch im Grunde wissen wohl alle, dass es zwar nicht einfach ist, Schönheit zu erreichen, Schönheit aber immer einfach ist.


Vom Serienfahrzeug A7 führt dann eine recht direkte Linie zur Studie »Quattro Concept«, unterwegs streifen wir noch kurz den bildhübschen »kleinen« e-Tron, der wohl ein künftiges Sportcoupé vorwegnimmt. Man sieht die schärfsten Linien seit 30 Jahren, eine zwar komplexe, aber trotzdem aufgeräumte Architektur, fast geometrische Details – kurz: die Rückkehr zu den alten Tugenden des Audi-Design, das sich durch Klarheit und Understatement auszeichnete. Dabei haben die Designer natürlich nicht vergessen, was sie unterdessen gelernt haben. Die Flächen sind spannend, im Körper ist Bewegung , Front und Heck zeigen Ausdruck. Wenn alles gut geht, wird das Audi-Design künftig also beides verbinden: die architektonische, logische Auffassung, die die Marke in den 70er Jahren prägte und den gestischen, emotionalen Stil, der sich seit den 90er-Jahren überall ausgebreitet hat.


Bleibt zu hoffen, dass der Quattro Concept nicht nur ein Solitär ist, nicht nur eine postmoderne Referenz an ein wildes Auto aus großen Zeiten, sondern dass die hier angedeutete Linie sich auch auf den Serien-Audis der nächsten Jahre zeigen wird. Es wäre so etwas wie die Rückkehr auf den Pfad der Tugend, nach einem spannenden Ausflug in den Dschungel der Subjektivität. Ich sehe keinen anderen Hersteller, dessen Designer einen so geraden und gangbaren Weg in die Zukunft vor sich haben – 40 Jahre Contenance zahlen sich aus.


Angesichts solcher Souveränität könnte man fast vergessen, dass das ganze Konzept »Auto«, wie wir es kennen, aktuell eigentlich ein wenig in Frage steht…

Donnerstag, 2. September 2010

Große Autos nach der Krise…

Saab 9-5, Mercedes CLC


Also, erst mal Entschuldigung, aus zwei Gründen. Erstens geht es im folgenden Text schon wieder um einen großen Mercedes (und schon wieder gibt es Kritik). Und zweitens wird das was jetzt kommt eventuell einmal mehr nach "früher war alles besser" klingen – ein öde Message, vor Allem, wenn es um Autodesign geht. Aber vielleicht finden wir unterwegs einen Wegweiser in die Zukunft. Wir sind gespannt, wohin er zeigt.


Die beiden so unterschiedlichen Autos, um die es hier geht sind beide Kinder einer Krise, die seit gut zwei Jahren die Autoindustrie bremst.



Beim Saab 9-5 liegt das auf der Hand: Fast wäre er gar nicht mehr auf den Markt gekommen, denn Saab, die vernachlässigte Tochter des schwer kranken Konzerns GM war eigentlich am Ende. Was nun mithilfe der verrückten holländischen Sportwagenmanufaktur Spycker doch noch auf die Straße rollt, ist im Kern ein reines GM-Fahrzeug, genauer gesagt: ein Opel Insignia im Maßanzug. Man könnte meinen, dass ein Produkt, das unter solchen schwierigen und wechselhaften Bedingungen entsteht, nach Murks aussehen muss. Und was steht nun vor uns? Ein souveräner Charakterkopf, ein beeindruckendes, beeindruckend einfaches Design mit einer vollkommen unverwechselbaren Silhouette, ein trotz seiner Größe authentischer Saab.
Die (anonymen) Designer haben es geschafft, trotz der normal geneigten Frontscheibe die klassische hohe Stirn erscheinen zu lassen, von dort aus fließt das leicht nach hinten geneigte Dach in ein langes Heck hinein, das sehr nach Saab aussieht und gleichzeitig optisch kräftig anschiebt.

Das ist eine Autobahn-Limousine klassischer Prägung und man denkt an die alte Saab-Werbung, auf der, in Gewitterstimmung fotografiert, ein 900 über eine regennasse Autobahn prescht, Headline: "Da draußen hilft Ihnen kein Statussymbol." Das Auto als schnelles Zuhause – Diese Botschaft hat Saab wie kaum eine andere Marke verkörpert, und sie ist hier, beim 9-5 wieder erkennbar.

Dabei hilft sehr, wie die Seitenfenster mit der Frontscheibe eine optische Einheit bilden, und besonders solide wirkt das, weil das Blech von oben und von unten her zu diesen Fensterflächen hin großzügig angeformt ist, so dass das Glas aus einer Fläche geschnitten scheint, fast Bullaugen-haft. An der Wurzel der A-Säule sieht man am besten, was da passiert und wie hier Plastizität und Grafik zusammenspielen. Bullig aber nicht dominant wirkt das.

Unterhalb der Seitenscheiben markiert ein stumpfer Knick die Schulter des Autos, ganz klassisch, und von dort fällt die Seite glatt und ohne jeden weiteren dynamisch gekurvten Akzent bis zum Schweller ab. Das stimmt nicht ganz, denn hinter den Vorderrad beginnt eine Art Hohlkehle, die an die seitlichen Luftauslässe starker Sportwagen erinnert, dem Wagen optisch vorne etwas Gewicht nimmt und ihm mehr Länge und Eleganz gibt. Diese konkave Fläche läuft nach hinten vollkommen plausibel aus und verschwindet in der vor dem hinteren Radhaus weich ausgeformten Fläche sozusagen gerade noch rechtzeitig, um nicht mit der hintern Türfuge in Kollision zu kommen. Das ist so lässig und simpel, dass man fast überrascht ist, wenn man feststellt: Dieses Thema wurde in der Heckschürze noch einmal aufgenommen, und hier entstehen in der Fortsetzung des Schwellers auf beiden Seiten Lichtkanten, die in verblüffend klarer Weise die trapenzförmigen Auspuff-Endblenden einfassen. Das alles sieht so aus, als müsste man sich vor die Stirn klatschen, weil man noch nicht selbst darauf gekommen ist – und ist gleichzeitig neu und dynamisch.


Man kann über die Heckleuchtengrafik streiten (sollte dabei aber bedenken, dass Saab auf dem Amerikanischen Markt seine Rolle spielen möchte) und man kann die etwas zu weich geratene Fuge um die etwas zu kleine Fläche der Heckklappe unterhalb der durchgehenden blanken Leiste kritisieren. Was die Front angeht, holen wir Atem um zu meckern – und verstummen dann, ehe wir ein Wort gesagt haben: Das sieht stark aus, aber einmal nicht aggressiv; das sagt klar und deutlich "Saab" ohne irgendein Retro-Zitat; und das ist mit einem feinen, leichten Spiel blanker Akzente eine weitere Stelle, wo sich die beinahe rührende Detailverliebtheit der Saab-Gestalter zeigt.

Dieses Auto ist cool, das Design hat Qualität und Substanz, und von Krise sieht man hier gar nichts. Man möchte dem ungenannten Team, das diese Leistung vollbracht hat, herzlich die Hände schütteln.



Zwischenbemerkung: Die Fotos vom Saab habe ich 2009 auf der IAA gemacht. Den CLS sieht man im Moment am besten hier: AMS, Mercedes CLS


Wenn Mercedes das Erfolgsmodell CLS neu auflegt, dann denkt sowieso niemand an Krise. Die Marke lebt, und zwar gut. Der erste CLS hat praktisch eine ganze Fahrzeugklasse vollkommen neu belebt, nämlich das große Coupé mit vier Türen, und ist dafür ebenso bekannt geworden wie für sein provokantes Design, das ein durchaus spannendes Thema mit fast schockierender Konsequenz umsetzte. Das gab viel Kritik, aber es war ein nicht zu ignorierendes Statement, ja, auch von Stärke. So wie früher sagte dieser Mercedes: Wir dürfen das.

Es ist immer schwer, für derart ikonische Würfe Nachfolger zu entwickeln. Und deswegen hat Mercedes erst einmal angekündigt. Die Erwartungen wurden programmiert und die Richtung angegeben: "Eine Generation Vorsprung" heißt nun die Devise. Wir analysieren den Satz nicht und nehmen nur zur Kenntnis, dass etwas ganz Neues kommt.



Und tatsächlich: Zunächst ist da eine gewisse Begeisterung angesichts des neuen CLS, denn den Mercedes-Designern ist es gelungen, ein formales Thema aus der Geschichte des Hauses in eine glaubwürdig moderne Form zu gießen: Vom Vorderrad aus schwingt eine Kotflügellinie über beinahe die ganze Fahrzeuglänge und wird vor dem Hinterrad von einem zweiten, etwas kompakteren Schwung aufgefangen. Genauer kann man die Pracht der großen Limousinen und Coupés der 30er Jahre wohl kaum auf eine Karosserie von heute übertragen. In der Seitenansicht wird erkennbar, dass hier eine echte Mercedes-Kontur geschaffen wurde, mit weit nach hinten geschobenem Screenhouse, langem hinteren Überhang, einem großzügigen Dachschwung und einer hoch und kräftig wirkenden Front. Und dann sehen wir die Flanken des Wagens. Wie sich diese Seitenlinie straff und knapp über den vorderen Radausschnitt spannt, das hat schon was. Vergessen wir mal kurz, dass das eine Oberflächengrafik ist und nur wenig (nämlich an der Front) mit der Plastizität des Autos zu tun hat. Es kommt einfach gut, warum also nicht? Doch dann bleibt unser Blick an der Stelle hängen, zur der diese Linie ihn hinführt, zwingend und mit großer Spannung leitet sie den Betrachter – mitten in das größte Chaos. Das entsteht, weil hier, im Bereich der hinteren Tür, eine Form – oder besser, eine durch die Form markierte Grafik – mit einer zweiten, durch die technischen Gegebenheiten bestimmten Grafik überlagert wird. Mit anderen Worten: Die Türfuge tut so, als gäbe es das Drama nicht, das sich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft abspielt, und auch die den Tankdeckel umfassende Fuge liegt so zufällig auf dem Volumen, dass das kleine Blechteil zwei starke Biegungen braucht. Beide Fugenlinien stören nach Kräften. Den Rest gibt der ganzen Situation dann der direkt über dem neuralgischen Punkt eingesetzte Mercedes-Standardtürgriff, der mit seiner schräg-ovoiden Griffschale ein denkbar wildes plastisches Eigenleben führt. Entschuldigung, aber die Stelle schreit nach einer Alfa-Türgrifflösung, und für ein viertüriges Coupé dieser Machart wäre ein Griff in der Seitenscheibe durchaus in Ordnung. Aber hier passt eben gar nichts.


Leider gibt es noch eine zweite Stelle an dem Auto, an der nichts passt: Die Front, oder sagen wir besser, der Bereich um die Scheinwerfer. Ich erspare dem Leser und mir die detaillierte Analyse. Die innere Kante des Scheinwerfers sieht jedenfalls aus, als hätte ein nervöser Praktikant sie mit zitternden Händen aufs Claymodell getaped, unter anderem entsteht dadurch an der den Grill einfassenden Fläche ein grausamer dreieckiger Fortsatz, der natürlich den Blick magisch anzieht und massiv stört. Unterhalb der Leuchten wird die ganze Geschichte auf einmal unheimlich gerade und geometrisch, fast Lamborghini-mäßig in ihrer Facettenhaftigkeit, und man fragt sich, ob das Frontend überhaupt zu diesem Auto gehört. Wurde es etwa in letzter Minute geändert (und eine Grafik des Wagens im Display, mit einer anders gestalteten Front, legt diesen Verdacht nahe)?
Wie auch immer: Die Botschaft, die der Sehende sieht ist die, dass hier sehr viel in sehr kurzer Zeit gewollt wurde. Und das bringt uns zur Krise…



Eine Frau aus gutem Hause, erfolgsverwöhnt, schön und wohlhabend muss eines Tages feststellen, dass ihre Schönheit nachlässt. Sie wird nicht jünger, da kann man nichts machen. Ein Blick aufs Konto sorgt für den zweiten Schreck: die zur Verfügung stehenden Mittel sind zwar immer noch erheblich, aber es wird klar, dass sie absolut nicht unerschöpflich sind. Beim Gartenfest wird sie ein Kleid tragen, dass sie schon einmal anhatte. Sie wird sich sehr viel Mühe mit dem Make-Up geben, und in dem unerschütterlichen Willen, jung und attraktiv zu wirken wird sie auf traurige Weise übertreiben. Ihren wertvollen und edlen Schmuck ergänzt sie mit zwei spektakulären Teilen fragwürdiger Herkunft und unklaren Wertes, denn ihr steht der Sinn nach mehr Glanz. Mit einem Wort: Es besteht die Gefahr, dass sie zur tragischen Figur wird.



Die alte Dame Mercedes sollte darauf achten, wer sie berät. Ehrgeiz ist nicht immer der beste Antrieb, und das gilt wohl um so mehr, wenn man aus gutem Hause kommt.



Ach, der Wegweiser? Ich würde sagen, er zeigt weg von oberflächlichen Effekten Richtung Substanz, einmal mehr.

Dienstag, 29. Juni 2010

SLS – über den Umgang mit Ikonen

Mercedes 300 SL, Mercedes SLS AMG



Autodesigner sprechen heute gerne von Ikonen. Sie meinen wiedererkennbare Details, Formen mit Symbolwirkung.
Im Grunde ist eine Ikone ja ein Bild, das Bewunderung oder Anbetung hervorruft oder hervorrufen soll. Man kann also ein ganzes Produkt als Ikone bezeichnen, um auszudrücken, dass es enorm hohes Ansehen genießt, und genau so hat man diesen Begriff auch viele Jahre lang genutzt.


Wenn für ein Fahrzeug die Bezeichnung "Ikone" angemessen ist, dann sicher für den Mercedes 300 SL von 1950, den berühmten "Flügeltürer". Mal ganz abgesehen von der Spitznamen gebenden Tür-Lösung: Was für ein unverschämtes, wildes und heftiges Auto ist das!

Der SL steht flach und kompakt auf dem Grund, die lange Motorhaube schiebt sich nach vorne wie eine geschmeidige Ramme, die winzige, abgerundete Kabine sitzt so weit hinten auf dem Körper, dass man das Gefühl hat, Fahrer und Beifahrer würden gerade noch irgendwie hinterher gezerrt, wenn der offensichtlich riesige Motor loslegt.

Ein sensationell rundes Heck fließt aus leicht geschwungenen Kotflügeln, lang genug, um dem Wagen auch in der Ansicht von hinten optischen Schub zu geben. Darauf liegt wie ein Juwel, von nichts in seiner Strahlkraft beeinträchtigt, ein schöner, großer Mercedes-Stern.

Ein einmaliges, unverwechselbares Detail sind die dreidimensional ausgeformten Speed-Lines, die die Kreisbögen der Radausschnitte oben überdecken, Blech gewordene Comic-Elemente, die nichts anderes tun als Geschwindigkeit zu symbolisieren.

Diese Speed-Lines, zusammen mit den für unsere Augen tief in der Karosserie liegenden, extrem plastischen Felgendeckeln und der geringen Bodenfreiheit geben dem ganzen Wagen etwas von der unverschämt selbstbewussten und gleichzeitig edlen wie schlampigen Ausstrahlung, die 40 Jahre später junge Amerikaner mit dem Baggy-Look durch herunter rutschen lassen der Hosen bis auf die Hüftknochen zu erreichen versuchten. Einfach lässig.
Keine Frage: Dieses Auto ist eine Ikone, verstehbar und wirkungsvoll über seine Entstehungszeit hinaus.


Die Neuauflage von ikonisch gewordenen Produkten hat in der Autoindustrie mittlerweile auch schon eine eigene Tradition. Mit dem New Beetle versuchte VW, nicht nur die Formensprache sondern auch die Atmosphäre des guten alten "Käfers" auf ein modernes Auto zu übertragen – wohl wissend, dass die Zielgruppe anders, und viel kleiner, sein würde als die des ursprünglichen Volkswagens. BMW hat mit dem Mini eine weitere Ikone neu auf die Straße gebracht – mit so großem Erfolg, dass der Epigone das Vorbild aus dem kollektiven Bewusstsein beinahe verdrängt hat und inzwischen wohl ein großer Prozentsatz der Mini-Käufer das Original gar nicht mehr kennt.



Und nun hat Mercedes eine neue Interpretation des alten Kult-Renners 300 SL gewagt. Der Mercedes SLS AMG hat Flügeltüren, das macht auf Anhieb klar, welches das Vorbild ist und in welche Klasse das Fahrzeug gehört. Während die unkonventionelle Lösung für die Türen beim 300 SL aus einer technischen Not geboren war – ein Gitterrohrrahmen aus dem Rennsport bildet das Grundgerüst, und da gibt es keine Möglichkeit für konventionelle Türausschnitte – haben die Flügeltüren des SLS also eher eine Marketing-Funktion. Abgesehen davon sehen wir ein Auto, das von Proportionen her und in seiner Gesamtanmutung ebenso rassig, niedrig und potent wirkt wie das 60 Jahre alte Vorbild. Und wir sehen deutlich, dass man sich bei Mercedes nicht mit einer Kopie zufrieden geben wollte, nicht einfach die Übertragung der alten Formen in moderne versucht hat, sondern dass hier der Charakter des 300 SL in einer zeitgemäßen Sprache wiedergegeben werden soll. So hat man eine insgesamt geradere, weniger schwellende Form gefunden, hat das weiche Heck gestrafft ohne den etwas verquollenen Ausdruck zu vermeiden, der beim Vorbild durch die extrem kleinen Heckleuchten entsteht und man hat den beim "Original" ziemlich grafisch in die Frontfläche gesetzten Lufteinlass dramatisch heraus modelliert. Dieses Auto zitiert nicht bloß, es erzählt eine Geschichte, die mit dem 300 Sl zwar beginnt, in der aber auch, zum Beispiel, ein Mercedes 190 oder ein McLaren Formelsportwagen vorkommt. Soweit, so gut.



Trotzdem können wir uns fragen, inwieweit der SLS AMG seinem Vorbild gerecht wird, welche Rolle er heute spielen kann. Er ist nicht mehr das Enfant Terrible aus gutem Hause, so etwas geht heute kaum mehr – und zu offensichtlich ist auch, das dieses Auto seine Existenz den Aktivitäten jüngerer Mitbewerber verdankt.
Ist er vielleicht wieder ein provozierendes Spielzeug für eine wohlhabende Minderheit? Auch das nicht, denn dazu nimmt er sich viel zu ernst. Bei allem Machismo war der alte 300 SL ja auch lieb: Die großen Rundscheinwerfer gaben ihm einen freundlichen Blick, seine Sexiness war eher pummelig als sehnig-straff und sein Interior hatte, in der Basisausstattung, etwas Picknickkörbchen-haftes, das heute ein gerührtes Lächeln hervorruft. Nichts davon im SLS: Hier sieht man einen reiferen Herrn vor sich, der etwas geschafft hat und der sich nun mit diesem Auto zu belohnen versucht, ohne dass er die Lockerheit und den Humor aufbringt, sein Leistungsdenken hinter sich zu lassen. Eine gewisse Verkrampftheit liegt da in der Luft, eher ein "müssen" als ein "dürfen". In diesem Lichte sollte der SLS eigentlich eine Verfeinerung, eine Perfektion mitbringen, die dem – durch den Gesamtauftritt des Wagens deutlich gesetzten – hohen Anspruch gerecht wird. Doch im Detail löst er (wir sprechen hier ausschließlich von Design, nicht von Technik) dieses Versprechen nicht ein.
Die, grafisch interessant und intelligent aus dem Körper geschnittenen, Scheinwerfer haben überraschenderweise im Detail etwas Halbzeughaftes, Studien in den 90er Jahren hatten solche Lampen. Die Außenspiegel mit dem Gehäuse aus Kohlefaserverbund wirken merkwürdig fremd auf dem Wagen – ohne sich von der Gesamtform so weit zu entfernen, dass man sie übersehen könnte. Auch über die Bügelfalte am Heck ließe sich diskutieren.
Ernsthafte Fragen löst ein Blick ins Interieur aus: Wurde hier, unter dem Vorwand des Rückbezuges auf ein historisches Original, am Ende schlicht und einfach gespart? Leder, CFK, poliertes Metall – das edle Material wird ohne große Idee oder sichtbares Konzept in eine Form gebracht, die für diese Klasse ein wenig dürftig wirkt. Man kann hier einen Willen zur Einfachheit vermuten, der sich nicht ganz durchsetzt, oder einen Mangel an Ideen und Zeit, oder vielleicht eine gewisse Arroganz, weil man sich so sicher ist, mit dem Exterior einen Volltreffer gelandet zu haben.

Diese etwas unfertig wirkenden Details stellen, je intensiver man sich mit dem Auto beschäftigt desto mehr, die ganze Idee des Redesign eines Klassikers in Frage. Es gibt Supercars mit atemberaubenden Interieurs und mit Karosserien, die für Science-Fiction Filme taugen. Sie beziehen sich auf nichts als auf die Möglichkeiten und Wünsche von heute. Genau so ein Auto war der 300 SL in seiner Zeit...
Und wenn wir uns schon vor Vergangenem verneigen: Warum werden die wirklich witzigen Details nicht zitiert? Speedlines über den Radausschnitten – das wäre doch mal wieder was.

Mittwoch, 21. April 2010

Die Sache mit der Tornado-Linie

Oldsmobile Toronado, Audi A1, Audi 50, Golf I

Ich wundere mich. Das macht ja nichts. Doch vielleicht ist das, worüber ich mich da wundere ein wenig symptomatisch für den aktuell üblichen Umgang mit Kultur und Geschichte (auch Autodesign hat beides). Um nicht den Anschluss zu verpassen, muss dann wohl nach dem Wundern das Umdenken kommen.

Die Sache ist Folgende: Seit etwa ein oder zwei Jahren taucht in den öffentlichen Statements der Audi-Designer immer wieder der Begriff Tornado-Linie auf. Gemeint ist damit eine unterhalb der Schulter über die gesamte Fahrzeuglänge laufende und durch einen Ebenenversatz erzeugte Kante, die, in ihrem Verlauf meistens straff gespannt, den Karosseriekörper umfasst, optisch verbindet und ihm Dynamik gibt. Da diese Linie sehr stark charakterbildend für das gesamte Fahrzeug wirkt, wurde und wird sie gerne auch als Charakterlinie bezeichnet. Das schöne Wort Tornadolinie klingt natürlich dynamischer, ja, es hat doch eine fast wilde Anmutung!

Jetzt das große Aber: In dem umfangreichen Grundsatzwerk von Othmar Wickenheiser über das Audi-Design (Nicolai, 2005) lesen wir im Glossar unter Toronado-Linie:
»Deutliche, oftmals horizontal verlaufende Ausprägung, die oberhalb des Seitenschwellers den unteren Bereich der Seitenfallung markiert; benannt nach dem Oldsmobile Toronado von 1966, einem Modell, das erstmals eine solche Ausprägung in diesem Bereich aufwies und darüber hinaus noch die Radöffnungen in diese Charakteristik mit einbezog. Häufig als sog. "Tornado-Linie" falsch zitiert.«

Aha. Zur Verdeutlichung zeige ich hier einen Oldsmobile Toronado von 1966 (Quelle: WikiCommons). Schönes Auto. Die typische Linie, um die es hier geht verläuft also unten und betont den Schweller. Diese Toronado-Linie gab es später noch an vielen anderen Fahrzeugen, nicht zuletzt am Audi 50 und – in der Folge – auch am Golf I. Der Trick ist gut, denn er hält den Körper optisch von unten zusammen und macht ihn etwas stämmiger.

Also: Wenn Sie das nächste Mal von einer Tornado-Linie hören oder lesen: Erinnern Sie sich, dass hier aus einem Missverständnis eine Wortneuschöpfung abgeleitet wurde. Die alten Zeiten sind vorbei, Tornado steht für Charakter und Dynamik, die gleichnamige Linie verläuft über den oberen Teil des Fahrzeugkörpers, etwa eine Handbreit unterhalb der Fenster-Unterkante.

Donnerstag, 4. März 2010

Vorn und hinten Avantgarde

Citroën DS, NSU Ro80, MINI, Audi A1, Audi A2

Wikipedia: "Der Begriff Avantgarde stammt ursprünglich aus dem Sprachschatz des französischen Militärs und bezeichnet die Vorhut, also denjenigen Truppenteil, der als erster vorrückt und somit zuerst Feindberührung hat.
Im übertragenen Sinn werden unter „Avantgarde“ politische und künstlerische Bewegungen zumeist des 20. Jahrhunderts verstanden, die eine starke Orientierung an der Idee des Fortschritts gemeinsam haben und sich durch besondere Radikalität auszeichnen."

Geht es um Autos, verbindet man wohl mit dem Begriff der Avantgarde am ehesten die Marke Citroën. Die Grundlage für diesen Ruf legten schon vor dem Krieg die Traction Avant-Modelle, die mit Frontantrieb und selbsttragender Karosserie, aber auch mit einem sehr "modernen" Fahrverhalten, ihrer Zeit spürbar voraus waren. Nach 23 Jahren Bauzeit wurden sie 1955 von der legendären DS abgelöst, einem Auto, das so futuristisch, fremd und eigenartig war, dass es schnell zum Symbol wurde. Die DS war ein Produkt, das für Nonkonformismus, Fortschrittlichkeit und unabhängiges Denken stand. Dieses Auto zu fahren, das war auch ein weltanschauliches Statement. Der strukturalistische Philosoph Roland Barthes widmete ihr einen größeren Text, in dem er sie als "offenkundig vom Himmel gefallen" bezeichnete und eine "Kathedrale der Neuzeit" nannte. Marketing-Fachleute im Jahr 2010 würden für solche Statements wahrscheinlich töten. Bis auf Weiteres ist die Situation jedoch so, das auch das nichts bringen würde.

Inzwischen wurde nämlich (wieder mal) der Konformismus zum Gott des Alltags erhoben. Es begann mit der sicher richtigen Tendenz, sachliche und vergleichbare Kriterien als Entscheidungshilfe für den Konsumenten einzuführen. Die Stiftung Warentest mit ihren Noten machte den Anfang, und mehr und mehr wurde auch in der Auto-Presse mit Tabellen und Punkten zumindest der Eindruck von Objektivität erzeugt. Was nun zählt, sind Fakten. Ein Citroën DS, mit seiner technischen Anfälligkeit, seiner kruden Ergonomie und seiner Unausgewogenheit würde heute in jedem Test mit Pauken und Trompeten durchfallen.

Die Art und Weise, wie sich die DS vor den Mainstream schob, war in gewisser Weise sehr typisch französisch. In einem Land, in dem der kategorische Imperativ "sois brillant!" lautet und es als deutlichstes Zeichen von Intelligenz gilt, Dinge grundsätzlich in Frage zu stellen konnte ein solcher Realität gewordener Science-Fiction-Traum besonders gut gedeihen. Andersartigkeit galt hier an sich schon als Zeichen von Fortschrittlichkeit (und der Kunde suchte die Ursache für Probleme im Umgang mit dem Produkt eher bei sich selbst: "Ich bin noch nicht soweit" dachte man, anstatt: "Das ist unausgereift"). Deutsche Avantgarde, wenn es so was gegeben hat, äußerte sich eher im Weitertreiben vorhandener Tendenzen. So kommt es, dass der NSU Ro80 auf einer gedachten gerade Linie der Designentwicklung seiner Zeit einfach und schlicht voraus war – so schlicht, dass heute gar nicht mehr recht sichtbar ist, wie unkonventionell er zu seiner Zeit gewirkt haben muss. (Dazu sollte man bedenken, dass er 1967 erschien und bis 1965 Mercedes-Modelle noch Heckflossen hatten.)

Ginge es ums Recht haben, die substanzielle, in der Zeitentwicklung verwurzelte und mit aktuellsten Erkenntnissen referenzierte Fortschrittlichkeit des Ro80 hätte gewonnen.

In Sachen Charisma und Faszination dagegen bleibt die DS wohl auf alle Zeiten einmalig.


Neuentwicklungen heute werden vor allem nach "den Bedürfnissen des Marktes" gestaltet, d.h. die in irgendeiner Weise sichtbar werdenden Erwartungen nennenswert großer Kundengruppen werden erfüllt. Fortschritt ist in diesem Kontext nur, was nachvollziehbaren Marktvorteil – also Verkaufszahlen – bringt. Nach den Experimenten und Flops der 60er und der gepflegten Kargheit der 70er hat man die Marketing-Lektion gelernt: Der Markt muss kundenorientiert sein, nicht anbieterorientiert. "Avantgarde" heute, das ist der Name einer Ausstattungslinie, mit der im Kern erzkonservative Produkte ein etwas frischeres "Image" bekommen, weil einige Kunden es wollen.

Wie logisch und folgerichtig, dass Citroën nun den Nimbus der DS auf Produkte zu übertragen versucht, die beinahe in der Mitte mitteleuropäischer Normalität stehen! Ein paar seltsame Detaillösungen, ein neues Logo, etwas Styling aus der Puderdose: Das ist das, was durch die Mühlen des Marketing hindurchkrümeln darf, um den Kunden an die alte Herrlichkeit der "Göttin" zu erinnern. Und selbst diese Kleinigkeiten dürften umstritten sein, kosten sie doch in den aktuellen Vergleichstests immer wieder wichtige Punkte.

Hier wird sehr deutlich, was der Wandel von der Anbieterorientierung zur Kundenorientierung als Nebenwirkung mit sich brachte: Die Aufmerksamkeit wendet sich von der Substanz ("Was ist es?") ab, hin zur Oberfläche ("Wie wirkt es?"). Im Grunde sind diese neuen DS-Modelle von Citroën stinknormale Durchschnittsautos und im Grunde weiß man das sogar. Aber man nimmt es nicht wichtig. Da das Produkt zunächst mal funktioniert, wendet man sich seiner Hülle zu, seinem Image, seiner Erscheinung, und der flexible Esprit des Franzosen aus Paris macht, einmal mehr, Mode. Nun ist dieser Marketing-Trick im Falle der DS-Reihe so leicht zu durchschauen und so sehr oberflächlich, dass man, zumindest für den deutschen Markt (mit langsamer reagierenden Kunden), nicht mit allzu großem Erfolg rechnen sollte.

Wir, wir haben Audi und BMW. Image gehört bei BMW zur Erbsubstanz, bewusst weiterentwickelt, nahezu unverändert über die Jahre und vielleicht eines der wichtigsten Verkaufsargumente der Münchner. Für den BMW-Käufer ist Image eine von mehreren Funktionen, die das Auto einfach haben muss. Avantgarde ist da kaum unterzubringen, Chris Bangle hat's erlebt. Fortschritt wird nicht als solcher demonstriert, sondern in Leistung umgesetzt. Und so finden wir die deutsche Entsprechung zum "soi brillant". Sie lautet: "Leiste etwas, leiste dir etwas."
Audi, gestartet mit einer sanften, aber smarten Nicht-Konventionalität, ging durch eine Phase der Langweiligkeit des "Richtig-Machens" und arbeitete sich zum Ruf substanziellen Understatemens durch, um schließlich, heute, recht ungehemmt auf den Marketing- und Design-Pudding zu hauen, immer noch hochwertig, aber ganz ohne falsche Scham.

Von beiden Marken (ich lasse die dritte deutsche Premium-Marke mal weg, es gäbe zu viel zu sagen...) gibt es nun Kleinwagen.
BMW hat Markenrechte und Image von MINI gekauft und ein Auto gebaut, das die Fahreigenschaften und das Erscheinungsbild des Original-Mini zitiert, ohne auch nur einen Hauch seines – nun ja, eben: minimalistischen – Spirit zu besitzen. Ein kundenorientiertes Oberfläche-Produkt im besten Sinne, natürlich mit einer technischen Substanz dahinter, die eher begeistern als enttäuschen kann.

Und von Audi kommt nun der A1. Was ist das für ein Auto? Ein Audi, nur kleiner, lautet die einfachste Antwort. Positioniert gegen den Mini, transportiert er jedoch nicht das Image eines traditionellen Spaßautos, sondern die ernste, moderne Kompetenz der Marke, fast ohne Traditionsbezug, dafür mit ein paar Gags, deren Verbindung mit dem Gesamterscheinungsbild sicher keine leichte Sache war. Es scheint zu funktionieren. Und dabei ist es, wieder, ein starkes Beispiel für die Oberflächlichkeit, die Image-orientiertheit, und den damit verbundenen tiefen Konservativismus heutiger Neuentwicklungen.

Wir erinnern uns: Vor Zehn Jahren hat Audi den A2 präsentiert, konsequent, ungewöhnlich, funktional und mit einem prinzipiellen Nicht-Image, das manchem durchaus gefallen konnte. Er hatte auf dem Markt der Marktschreier keine Chance, obwohl er ein paar interessante Antworten auf aktuelle Fragen wusste. Das war Avantgarde, wenn auch in Maßen. Avantgarde, selbst wenn sie relativ unspektakulär daher kommt wie beim A2, muss erklärt werden. Und sie braucht eine Gesellschaft, die offen für Neues ist und nicht, von Angst und Sorge gepeinigt, alles Unbekannte ausstößt wie ein Organismus einen Fremdkörper

So gesehen ist die grundkonservative Haltung, die in den flotten Hüllen unserer neuen Autos steckt, eine direkte Folge der Kundenorientiertheit. Denn der Kunde ist verunsichert, weil die wirtschaftliche und energiepolitische Zukunft unserer mitteleuropäischen Welt in Frage steht. Er wählt das Bekannte, und nimmt die frische Hülle dazu, "Wellness-Faktor" und kleine Persönlichkeits-Krücke zugleich. Hauptsache, es ändert sich nichts.

Wer wagt es nun, eine Göttin zu schaffen?

À propos d'avantgarde...

Citroën DS

Ein kleiner Werbefilm, in dem Funktionsweise und Vorteile der hydropneumatischen Federung dargestellt sind.
Vor 1967.

Donnerstag, 11. Februar 2010

Das schlimme Auto

BMW X6
Letztens las ich in "ramp", dem schwäbischen "auto.kultur.magazin" (sic), mehrmals das Wort "Ökofaschist". Natürlich bezieht es sich nur auf die Handvoll gewaltbereiter Großstadtbewohner, die teure und große Autos anzünden.
Aber irgendwie entstand doch der Eindruck, dass jeder, der übertrieben große Autos nicht in Ordnung findet (und das auch äußert) sich zumindest als Sympathisant betrachten muss. Allermindestens sei man mit dieser Haltung aber, so der Autor, "Middle Class"! Ach je. (NB: Dieser Begriff bezeichnet eigentlich, mit typisch britischem Understatement, einen sehr wohlhabenden Menschen. Aber wir verstehen schon, was gemeint ist...)

Ich gehe davon aus, dass es sich hier um eine lustige Polemik handelt.
Und die nehme ich gerne zum Anlass, meinerseits ein wenig Polemik abzusondern, ein paar Worte über ein Auto, dessen Existenz ich für eventuell verzichtbar halte: Den BMW X6.

Vorauszuschicken ist, dass ich kein grundsätzliches Problem mit großen und starken Autos habe. Im Gegenteil: Wie jeder Car Nut kriege ich große Augen und vermehrten Speichelfluß, wenn ich einen Viel-Zylinder brabbeln, husten, röhren oder kreischen höre. Ich finde "sexy" durchaus angemessen, wenn es um bestimmte Karosserieformen geht, und ich stelle mich bei passender Gelegenheit gerne zu den anderen in die Peepshow, wenn irgendwo ein geiles Teil auf Rädern präsentiert wird. Luxus- oder Sportwagen? Bitte sehr, nur zu! Uns macht die Anwesenheit automobiler Träume Spaß – und die Minderheit, die sie sich leisten kann, soll sich bitte von ganzem Herzen an deren Besitz erfreuen.

Nun wurde in München ein Blech gewordener Stinkefinger entwickelt, dessen Daseinszweck die Provokation all derer zu sein scheint, die beim Erwerb eines Gegenstandes ein gewisses Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen erwarten (wobei der Nutzen in diesem Fall wohl im Genuss läge). Egal, sagt der X6-Fahrer, dafür, dass ich allen anderen semantisch in die Fresse schlagen darf nehme ich gerne Opfer in Kauf. Genau das: Semantisch, formal, symbolisch in die Fresse schlagen – ohne dafür Sanktionen oder auch nur irgendwie zu rechtfertigende negative Reaktionen erwarten zu müssen. Ist das nicht toll? Das muss man erst mal hinkriegen! Jeder, der das, was der X6 mit seinen Proportionen und Formen zum Ausdruck bringt, in Worten und Gesten sagen würde, müsste mit Geldstrafen und Punkten in Flensburg rechnen.

Wirklich, so schlimm?, fragt der Leser. Naja. Wir sehen ein Fahrzeug, dessen untere Hälfte sich gestalterisch und maßlich an der Gattung SUV orientiert. In den USA, wo der X6 wohl seine Markt-Wunsch-Heimat hat, können seine Maße und Proportionen als maßvoll bis kompakt gelten. Das ist bei uns anders. Bei uns sprengen die dicken Flanken, die riesigen Räder und der hohe Körper den Maßstab. Anders gesagt: das Auto wirkt fast unanständig groß. Eine schlaffe, flächige Modellierung dieses Bereiches tut das ihre, um diese Größe zu betonen.

Die Pointe liegt nun darin, dass es oberhalb der Fensterlinie – also in einem Bereich, der, auch maßlich weit oberhalb des normalen automobilen Daseins, praktisch schon vollständig zur Privatspäre des Nutzers zu gehören scheint – ganz anders weitergeht: Hier wird der X6 auf einmal schlank, geschmeidig, fast elegant und überhaupt nicht mehr voluminös. Wir verstehen die Botschaft: Ich, der Eigner dieses Gefährtes, brauche weder viel Platz noch imponierende Proportionen. Schlank und sportlich bin ich, zu weit oben, zu schön, zu reich für die Konfrontation mit dieser schnöden Welt. Vor der schützt mich die untere Hälfte meines Autos, der Teil mit dem ihr anderen euch im täglichen Verkehr beschäftigen dürft. Es ist mir egal, dass mein Auto für euch ein optisches und semantisches Hindernis darstellt, ein Fels in der Brandung, der sich bewegt (gerne auch unberechenbar bewegt), eine subjektive und objektive Gefahr. Ich lebe in meiner eigenen Sphäre. Ihr kommt darin nicht vor. Ihr seid mir egal. Eine der möglichen Botschaften eines SUVs wird hier also dadurch zugespitzt, dass der X6 auf die funktionalen Vorteile eines solchen Fahrzeugs verzichtet.

Potentiell könnte so etwas auch schon wieder Klasse haben. Aber im Falle des X6 geschieht das auf recht unsubtile, grobe, beinahe lieblose Art und Weise, so dass der Vergleich mit einer Form gewordenen Verbalinjurie durchaus nahe liegt. Die souveräne BMW-Sprache wird verzerrt, ohne Rücksicht auf Eleganz, Schönheit, Dynamik, denn es geht nicht darum, zu gefallen. Es geht offenbar darum, weh zu tun. Mag sein, dass das nicht jedem Kunden klar ist, mag sein, dass mancher sich einfach nur mit naiver Unschuld in seinem Egoismus verstanden fühlt, wenn er den X6 sieht. Das provokative Potential der Form dürfte aber zumindest ihren Schöpfern klar sein; trotzdem kein böses Wort darüber, dass BMW ein solches Fahrzeug entwickelt hat und anbietet...

Dass es dafür einen nennenswerten Markt gibt, das ist freilich recht traurig. Denn man sieht daran, dass in der Oberklasse Leistung, Stil und gutes Benehmen schön langsam vollständig durch brutales und ostentatives Auftreten abgelöst werden dürfen. Und das ist es, was an diesem Auto so schmerzt: Mutwilliges, kindlich-trotziges Missachten der – ökologischen, ökonomischen und sozialen – Umwelt wird abgefeiert als Zeichen von Stärke. In Wirklichkeit handelt es sich dabei aber um Schwäche: Charakterschwäche.

Wie gesagt: Wir sind heute etwas polemisch.

Freitag, 29. Januar 2010

Tick, Trick und Track? Überraschende Verwandtschaften.

Nissan Micra, FIAT 500 nuovo, FIAT nuova 500

Als FIAT im Jahr 2007 den Retro-500 vorstellte, bekam das neue kleine Auto ein enormes Echo.
Die geplante Produktionskapazität reichte schon nach kurzer Zeit nicht mehr aus, Wartezeiten von bis zu 8 Monaten wurden angegeben und akzeptiert. Die Leute liebten das Ding offensichtlich, wozu sicher nicht nur die vertraute, knuffige und doch irgendwie moderne Form beitrug, sondern auch die vielen schicken Sonderausstattungen, Farben, Aufkleber, mit deren Hilfe jeder seinen “individuellen” 500 zusammenstellen konnte. FIAT hatte den Kleinwagen wieder attraktiv gemacht.
Der kritische Beobachter sah und sieht diese Vorgänge allerdings nicht ganz so begeistert. Was ist der neue FIAT 500 eigentlich? Er ist technisch im Wesentlichen ein FIAT Panda. Als dieser trägt er eine viertürige, fünfsitzige Karosserie, die nicht gerade elegant, aber durchaus pfiffig und vor allem funktional ist. Der stylische 500 verzichtet auf zwei der vier Türen, bietet weniger, und schlechter zugänglichen, Kofferraum und weniger Platz auf der Rücksitzbank. Nun ja, wenn die Käufer es wollen, sollen sie es kriegen.
Aber: Ist der kritische Beobachter gleichzeitig Designer, dann hebt er den Finger und stellt ein paar Fragen. Eine dieser Fragen dürfte sein, ob eigentlich niemand bemerkt habe, dass es bereits vier Jahre früher (also seit 2003) eine höchst intelligente, funktionale und charmante Neu-Umsetzung des guten alten Fiat 500 Nuovo-Prinzips gab: Den Nissan Micra. Wie bitte?
Das beherrschende formale Kennzeichen des originalen 500 Nuovo war die gegenüber der Seitenfenster-Unterkante nach unten versetze “Schulter”. Üblicherweise wird eine Karosserie direkt unterhalb der Fensterschachtleiste breiter. Man nennt das Schulter, und es hilft, den Fahrzeugkörper zu gliedern, bringt den optischen Schwerpunkt nach unten und lässt das Fahrzeug breiter und stabiler auf der Straße stehen. Beim kurzen und schmalen 500 von 1957 hatten die Stylisten durch das Versetzen dieser Schulter nach unten die Harmonie der Proportionen verbessert und, im Zusammenspiel mit den winzigen Rädern, im unteren Bereich der Flanke einigermaßen vertraute, vertrauenerweckende Verhältnisse hergestellt. Der Bereich zwischen der tiefen Schulter und der Unterkante der Seitenfenster ging auf intelligente Weise nach vorne in die Haube über, so dass von vorne gesehen eine höchst plausible Fügung erkennbarer Einzelteile, durch blitzsaubere Fugen getrennt und plastisch interessant, erkennbar wird. Hinten verzichteten die damaligen Gestalter auf eine so konsequente Gliederung, sondern sie zogen Heckklappe und Dach in relativ grafischer Art und Weise über den Körper, dabei scheinbar einen Fehler in Kauf nehmend: Die Unterkante der Heckscheibe biegt sich, weil sie auf einen kugeligen Körper projiziert ist, nach oben durch. Aber diese scheinbare gestalterische Ungeschicklichkeit hat Methode: Auf diese Weise wirkt der kleine 500, von hinten gesehen, dynamischer und kräftiger – und es wird ein Effekt vermieden, den ich hier einmal als “Burger-Look” bezeichnen möchte, also der Eindruck, das Volumen bestehe aus übereinander gelegten, dicken Schichten mit balligen Konturen.
Der Nissan Micra hat genau hier seine stärkste Stelle: Auch er verfügt über die versetzte Schulter, in moderner Weise mit einer scharfen Lichtkante sichtbar gemacht. Zusätzlich wird das Thema dadurch betont, dass der Bereich oberhalb der Schulter eher rund und weich, der darunter flach und hart modelliert ist. Am Heck lassen die Nissan-Designer die Schulterlinen lässig abfallen, dazwischen entsteht eine saubere, klare Fläche, auf der das kugelrunde Greenhouse propper darauf sitzt. Obwohl das Alles vordergründig nicht viel mit dem “Original”, also dem historischen 500 Nuovo zu tun hat, kommt es ihm in der Wirkung näher, als der von FIAT gebaute Retro-500.
Vor Allem aber hat es eine ganz andere Qualität.
Als der neue, der Retro-500, präsentiert wurde, überzog man die Fahrzeuge mit flexiblen Stoffoveralls, auf die der Ur-500 aufgedruckt war. Diese Hüllen wurden dann feierlich abgezogen und darunter kam die moderne Neuinterpretation zum Vorschein. Eine gute Idee, die jedoch das Designkonzept des neuen 500 regelrecht bloßstellte. Denn im Grunde war das unter der Hülle verborgene Fahrzeug nichts anderes als ein in den Maßverhältnissen leidlich angepasster Grundkörper, der die Struktur des Alten gewissermaßen als Flachrelief trägt. Die Schulter ist nur noch als Zeichen vorhanden, in Form einer flachen Sicke. Das Heck wurde “korrigiert” und hat damit gegenüber dem Vorbild an Originalität, aber auch an Dynamik verloren. Die optische Verbindung zwischen Rückenfläche und Dach blieb ebenfalls auf der Strecke. Der Neue wirkt insgesamt rundlich, doppelkinnig, grafisch. Selbst die Rückleuchten sind beim Nissan besser, weil plastischer, übersetzt.
In der Seitenansicht fällt auf, dass das hintere Fenster des Retro-500 in einem peinlichen Missverhältnis zum vorderen steht. So wird die Frage provoziert, warum man das Auto nicht einfach 5 cm länger gemacht hat, was nicht nur der optischen Ausgewogenheit zugute gekommen wäre, sondern auch entscheidende Zentimeter für eine wirklich nutzbare Rückbank gebracht hätte. Der neue ist ohnehin fast 60 cm (!) länger als das Original…
Bei der Front kommt ein anderes Problem zum Tragen (das auch den New Beetle belastet): Der Original-500 hatte ja einen Heckmotor. Folglich war die Front geschlossen und kompakt. Der Neue imitiert diesen Look, braucht aber unterhalb der Chromleiste, die den Stoßfänger zitiert – ohne dessen Funktion zu erfüllen – einen Lufteinlass. Semantisch gesprochen: Ist es keine Lüge, Täuschung ist es allemal. Darüber zeigt sich ein weiteres Mal, was passiert, wenn man die Struktur eines Klassikers lediglich grafisch auf eine moderne Form aufträgt: Es wirkt, als sei das hübsche, treue und etwas selbstzufriedene Gesicht des 500 aufgeblasen worden wie ein Ballon, so dass die Scheinwerfer-Augen nach oben wandern. So entsteht, auch mit Hilfe des Lufteinlasses, ein Clowns-Gesicht, dessen Ausdruck irgendwo zwischen albern und bösartig zu finden ist.
Nissan geht den Thema ganz aus dem Weg. Hier sieht man das Familiengesicht mit den Schnurrbart-Lufteinlässen. Die Scheinwerfer sind mit ihren amorphen Konturen nicht gerade schön und heute auch nicht mehr zeitgemäß, zumindest sind sie aber eigenständig, originell und zeigen eine interessante Lösung für einen wirklich von überall her sichtbaren Blinker.
Leider: Für mich ist der neue FIAT in dieser Form nichts weiter als ein oberflächliches Modeprodukt – erfolgreich, beliebt, aber ohne rechte Substanz. Dabei wäre es hochinteressant gewesen, in diesen Dimensionen das Erbgut eines der wichtigsten Fahrzeuge der Autogeschichte umzusetzen. Der Nissan zeigt, dass das prinzipiell machbar ist – wenn man es substanziell angeht und in Kauf nimmt, dass nicht jeder es nach dem ersten Blick versteht.

Montag, 25. Januar 2010

Volkes Stimme und die Oberklasse

A8, 7er, S-Klasse
Eine der unser vernetztes Leben prägenden Erscheinungen ist die Tatsache, dass jeder Mensch, der über einen Computer verfügt, seine Meinung öffentlich machen kann. 
Wir leben eigentlich nicht so sehr in einer Informationsgesellschaft, es ist eher eine Meinungs-Äußerungs-Gesellschaft. 
Das ist gar nicht so schlecht. 
Auch ich profitiere davon, indem ich z.B. in dieses Blog hineinschreibe.
So konnte man also schon wenige Tage nach der prachtvollen Präsentation des neuen Audi A8 in Miami an allen Ecken und Enden des Internet (und in der Fachpresse) Urteile über dieses neue Oberklasse-Auto lesen. Die meisten Kritiker beschränkten sich wenigstens darauf, ihre Meinung zum Aussehen des Fahrzeuges zu äußern – in Sachen Design ist ja jeder gern ein Fachmann.
Ich will mich in diesen Zeilen nicht lange damit aufhalten, dass so ein A8 nicht gleichzeitig “wie ein aufgeblasener A4”, “genau wie der alte” und “ziemlich wie ein BMW” aussehen kann. Die gründliche Divergenz dieser Aussagen zeigt schon, dass da etwas nicht stimmen kann.
(Vergleiche mit anderen Autos sind unter Fachleuten ohnehin verboten. Man stelle sich einfach mal vor, Architektur würde so beurteilt…)

Der Witz solcher Praecox-Urteile liegt nämlich vor Allem darin, dass sie auf der Basis von drei oder vier Pressefotos oder eines YouTube-Filmchen getroffen werden. Der Rest ist Vorstellung, Idee, ist halb-bewusstes Parallelen-Ziehen. Und weil man sich einfach nur vorstellen kann, was man schon gesehen hat, kommt man so schnell zu diesen “sieht aus wie…”-Sätzen. Ich habe den A8 auch noch nicht im richtigen Leben erlebt. Aber als jemand der sich professionell damit beschäftigt, wie Sachen aussehen und wirken wage ich hier die Behauptung: Ihr werdet staunen. Ich traue dem Fahrzeug eine Präsenz, Würde und Kraft zu, die sich aus den Fotos unmittelbar kaum erschließt. In Proportionen war Audi immer schon gut. Wie die optische Gewichtsverteilung dieses Riesenautos wirkt, wenn es materiell anwesend ist, das kann man erst mal nur ahnen. Mit Sicherheit trägt die fast schon dramatische Flächenbehandlung das ihre dazu bei, dass der immer noch klare Fahrzeug-Körper als ein “lebendiger” Körper wahrgenommen wird – und das unterscheidet den neuen Oberklasse-Audi positiv von seinem Vorgänger.
Dramatische Flächen und Kanten kennen wir sonst ja eher von BMW, auch wenn der alte 7er hier nicht geglänzt hat – es fehlte an Spannung und “Zug” in dem Gefüge. Der aktuelle ist hier ganz “State-of-the-Art”, und er hat noch etwas Wichtiges hinzugewonnen: Die feine Balance der Proportionen. Mit Beginn der Ära van Hooydonk hat man sich nämlich in München wieder daran erinnert, dass ein Auto keine bloße in Blech geformte Idee ist, sondern auch ein Volumen, ein Gewicht und eine Form hat, dass also das Blech eine feste und unüberwindliche Grenze zwischen einem Innen und einem Außen darstellt. Nun stimmen Spannung und Proportion, und man kann sich über den Anblick redlich freuen (mal vom Heck abgesehen, aber BMW-Hecks sind eine ganz andere, ganz eigene Geschichte).
Wir haben also zwei relativ neue deutsche Oberklasse-Autos, die von zwei verschiedenen Seiten her einem Ideal von Ausgewogenheit und Spannung einigermaßen nahe kommen (und dabei erfreulich verschieden aussehen). Und wir haben den Platzhirsch, die S-Klasse, die immer noch als Referenz gilt. Wäre sie es in Sachen Formgestaltung – die Mitbewerber lägen falsch. Denn hier ist von Verfeinerung, skulpturaler Oberflächenbehandlung oder subtiler Ausgewogenheit keine Spur. Die Form kann von jedermann sofort verstanden und vermutlich auch beschrieben werden, der sie einmal bewusst angeschaut hat. Die Radhausbacken haben etwas fast comic-haftes, die steil ansteigende gebogene Lichtkante auf den Flanken geht in dieselbe Richtung, und Details wie die in Wagenfarbe lackierten Blendchen auf den Heckleuchten (erwartungsgemäß nun weg-modellgepflegt) gehören in die beliebte Rubrik “Design für Doofe”. Das ist alles gar nicht so böse gemeint, wie es vielleicht klingt. Denn die S-Klasse hat damit einen formalen Trumpf, den keiner der beiden Mitbewerber ausspielen kann: Unmittelbare formale Verständlichkeit. Ja, die S-Klasse sieht in Wirklichkeit genau so aus wie auf den Fotos. Front, Seite, Heck – gesehen und verstanden. Attraktiv wird sie dadurch für alle die, die sich mit formalen Feinheiten, der Spannung von Lichtkanten oder der Gewichtung des Greenhouse zum Körper nicht beschäftigen wollen oder können. Solche Menschen gibt es, viele von ihnen haben Geld. Die anderen schreiben manchmal Leserbriefe über das Design von Neuerscheinungen an Auto-Bild.
***
Für die derzeit erfolgreichste Luxusmarke der Welt, Louis Vuitton, arbeitet seit einigen Jahren Marc Jacobs, der Mann, der angeblich den Grunge erfunden hat. 
In der Frühjahrs/Sommer-Kollektion 2010 zeigen seine Models nicht nur riesige Afroperücken und Schuhe, die mit Federbüscheln dekoriert wie Vogelfüße aussehen, sie tragen auch unendliche Variationen subtil zerstörter oder veränderter Stoffe, Schnitte mit charmanten – und handwerklich anspruchsvollen – Fehlern und immer neue, ziemlich verrückte Varianten des berühmten (durch millionenfaches Kopieren schon fast unmöglich gewordenen) Logo-Druckes. Hier kommt alles zusammen: Das spektakuläre, sich auf den ersten Blick erschließende. Das raffiniert- detaillierte. Und die Kunst der Proportion. 
Mercedes, BMW und Audi, gewissermaßen.
Vielleicht wäre das ein kultureller Impuls für die Automobil-Oberklasse: Haute Couture von positiv wahnsinnigen Designern mit Hirn, Herz und Hand. Neu entdeckt werden würde auf diesem Wege bestimmt etwas, das im Augenblick im Autodesign eher kurz kommt, nämlich Witz, Charme und feiner Humor. Oder dürfen wir etwa die leicht unverschämt gezackten LED-Augen des A8 bereits in diesem Sinne verstehen?

Freitag, 22. Januar 2010



Interessantes Kommunikationsexperiment:

Was in rund zwei Jahren Designentwicklung gedacht und gefunden wurde, sammelt sich hier in 3 Minuten.
So falsch er ist: Der Film zeigt irgendwie doch einen Teil der Wahrheit...
Übrigens eine elegante Verneigung vor dem legendären Picasso-Film von 1949.

Donnerstag, 21. Januar 2010

2004 schrieb ich:

»In unserer Kultur der Bewegung ist die Form eines Autos zu einer Aussage über den geworden, der sich damit umgibt. Es gibt Unterschiede in der Deutlichkeit, doch die Auswahl eines in vieler Hinsicht so wertvollen Gegenstandes ist unweigerlich die Entscheidung für eine bestimmte solche Aussage.
Dass die Autoindustrie mit diesen Aussagen arbeitet – dass also, direkt formuliert, das Design eines Autos zu einem der wichtigsten Hilfsmittel im Wettbewerb geworden ist, das ist kein Geheimnis mehr.
Der normale Autobesitzer wird sich wahrscheinlich darüber im Klaren sein, dass die Form seines Autos zu seiner Kaufentscheidung beigetragen hat. Er wird vermuten, dass es ihm eben “gefallen hat” – und, vielleicht ein wenig schuldbewusst, erkennen, dass dieses emotionale Motiv stärker war als manches sachliche Argument, wie Verbrauch, Platzangebot oder erwarteter Wertverlust. Was er sich in aller Regel nicht klar gemacht haben dürfte ist, warum ihn ein bestimmtes Modell mehr anspricht als andere vergleichbare.
Es geht bei der Gestaltung eines Autos nicht darum, sich von verschiedenen Seiten einer abstrakten Optimalform zu nähern. Es geht vor allem anderen darum, der Form eine Art Seele einzuhauchen, ihr eine Aussage zu geben, mit der sich der Besitzer identifiziert, ihr einen Charakter zu geben, durch den er sich in seinen Zielen und in seinem erhofften Status bestätigt fühlt, oder besser noch: darüber erhoben. Dieser Ausdruck der Form, diese Sprache der Form ist bei der Gestaltung eines Autos immer schon zentral gewesen.
Ich werde noch zeigen, dass beim Betrachten von Autos normalerweise eine anthropomorphe Übertragung stattfindet. Die Karosserie, die Hülle eines Autos ist also zunächst einmal ein Körper im älteren Sinne des Wortes, sie wird – unbewusst – wahrgenommen wie der Leib eines Tieres und mit ähnlichen Eigenschaften assoziiert. Diese Eigenschaften leiht sich der Besitzer und Beherrscher dieses Körpers gewissermaßen, so wie ein Reiter sich früher die Kraft seines Pferdes lieh und dabei hoffen wollte, dass auch andere Eigenschaften seines Tieres auf ihn übertragen würden. Es geht also um Macht, um die Beherrschung von Kraft und das Besitzen von Schönheit. Das ist ein durchaus erotisch gefärbtes Verhältnis zum Gegenstand – und damit gleichzeitig eines, das ein großes Aggressionspotential birgt…«