Freitag, 29. Januar 2010

Tick, Trick und Track? Überraschende Verwandtschaften.

Nissan Micra, FIAT 500 nuovo, FIAT nuova 500

Als FIAT im Jahr 2007 den Retro-500 vorstellte, bekam das neue kleine Auto ein enormes Echo.
Die geplante Produktionskapazität reichte schon nach kurzer Zeit nicht mehr aus, Wartezeiten von bis zu 8 Monaten wurden angegeben und akzeptiert. Die Leute liebten das Ding offensichtlich, wozu sicher nicht nur die vertraute, knuffige und doch irgendwie moderne Form beitrug, sondern auch die vielen schicken Sonderausstattungen, Farben, Aufkleber, mit deren Hilfe jeder seinen “individuellen” 500 zusammenstellen konnte. FIAT hatte den Kleinwagen wieder attraktiv gemacht.
Der kritische Beobachter sah und sieht diese Vorgänge allerdings nicht ganz so begeistert. Was ist der neue FIAT 500 eigentlich? Er ist technisch im Wesentlichen ein FIAT Panda. Als dieser trägt er eine viertürige, fünfsitzige Karosserie, die nicht gerade elegant, aber durchaus pfiffig und vor allem funktional ist. Der stylische 500 verzichtet auf zwei der vier Türen, bietet weniger, und schlechter zugänglichen, Kofferraum und weniger Platz auf der Rücksitzbank. Nun ja, wenn die Käufer es wollen, sollen sie es kriegen.
Aber: Ist der kritische Beobachter gleichzeitig Designer, dann hebt er den Finger und stellt ein paar Fragen. Eine dieser Fragen dürfte sein, ob eigentlich niemand bemerkt habe, dass es bereits vier Jahre früher (also seit 2003) eine höchst intelligente, funktionale und charmante Neu-Umsetzung des guten alten Fiat 500 Nuovo-Prinzips gab: Den Nissan Micra. Wie bitte?
Das beherrschende formale Kennzeichen des originalen 500 Nuovo war die gegenüber der Seitenfenster-Unterkante nach unten versetze “Schulter”. Üblicherweise wird eine Karosserie direkt unterhalb der Fensterschachtleiste breiter. Man nennt das Schulter, und es hilft, den Fahrzeugkörper zu gliedern, bringt den optischen Schwerpunkt nach unten und lässt das Fahrzeug breiter und stabiler auf der Straße stehen. Beim kurzen und schmalen 500 von 1957 hatten die Stylisten durch das Versetzen dieser Schulter nach unten die Harmonie der Proportionen verbessert und, im Zusammenspiel mit den winzigen Rädern, im unteren Bereich der Flanke einigermaßen vertraute, vertrauenerweckende Verhältnisse hergestellt. Der Bereich zwischen der tiefen Schulter und der Unterkante der Seitenfenster ging auf intelligente Weise nach vorne in die Haube über, so dass von vorne gesehen eine höchst plausible Fügung erkennbarer Einzelteile, durch blitzsaubere Fugen getrennt und plastisch interessant, erkennbar wird. Hinten verzichteten die damaligen Gestalter auf eine so konsequente Gliederung, sondern sie zogen Heckklappe und Dach in relativ grafischer Art und Weise über den Körper, dabei scheinbar einen Fehler in Kauf nehmend: Die Unterkante der Heckscheibe biegt sich, weil sie auf einen kugeligen Körper projiziert ist, nach oben durch. Aber diese scheinbare gestalterische Ungeschicklichkeit hat Methode: Auf diese Weise wirkt der kleine 500, von hinten gesehen, dynamischer und kräftiger – und es wird ein Effekt vermieden, den ich hier einmal als “Burger-Look” bezeichnen möchte, also der Eindruck, das Volumen bestehe aus übereinander gelegten, dicken Schichten mit balligen Konturen.
Der Nissan Micra hat genau hier seine stärkste Stelle: Auch er verfügt über die versetzte Schulter, in moderner Weise mit einer scharfen Lichtkante sichtbar gemacht. Zusätzlich wird das Thema dadurch betont, dass der Bereich oberhalb der Schulter eher rund und weich, der darunter flach und hart modelliert ist. Am Heck lassen die Nissan-Designer die Schulterlinen lässig abfallen, dazwischen entsteht eine saubere, klare Fläche, auf der das kugelrunde Greenhouse propper darauf sitzt. Obwohl das Alles vordergründig nicht viel mit dem “Original”, also dem historischen 500 Nuovo zu tun hat, kommt es ihm in der Wirkung näher, als der von FIAT gebaute Retro-500.
Vor Allem aber hat es eine ganz andere Qualität.
Als der neue, der Retro-500, präsentiert wurde, überzog man die Fahrzeuge mit flexiblen Stoffoveralls, auf die der Ur-500 aufgedruckt war. Diese Hüllen wurden dann feierlich abgezogen und darunter kam die moderne Neuinterpretation zum Vorschein. Eine gute Idee, die jedoch das Designkonzept des neuen 500 regelrecht bloßstellte. Denn im Grunde war das unter der Hülle verborgene Fahrzeug nichts anderes als ein in den Maßverhältnissen leidlich angepasster Grundkörper, der die Struktur des Alten gewissermaßen als Flachrelief trägt. Die Schulter ist nur noch als Zeichen vorhanden, in Form einer flachen Sicke. Das Heck wurde “korrigiert” und hat damit gegenüber dem Vorbild an Originalität, aber auch an Dynamik verloren. Die optische Verbindung zwischen Rückenfläche und Dach blieb ebenfalls auf der Strecke. Der Neue wirkt insgesamt rundlich, doppelkinnig, grafisch. Selbst die Rückleuchten sind beim Nissan besser, weil plastischer, übersetzt.
In der Seitenansicht fällt auf, dass das hintere Fenster des Retro-500 in einem peinlichen Missverhältnis zum vorderen steht. So wird die Frage provoziert, warum man das Auto nicht einfach 5 cm länger gemacht hat, was nicht nur der optischen Ausgewogenheit zugute gekommen wäre, sondern auch entscheidende Zentimeter für eine wirklich nutzbare Rückbank gebracht hätte. Der neue ist ohnehin fast 60 cm (!) länger als das Original…
Bei der Front kommt ein anderes Problem zum Tragen (das auch den New Beetle belastet): Der Original-500 hatte ja einen Heckmotor. Folglich war die Front geschlossen und kompakt. Der Neue imitiert diesen Look, braucht aber unterhalb der Chromleiste, die den Stoßfänger zitiert – ohne dessen Funktion zu erfüllen – einen Lufteinlass. Semantisch gesprochen: Ist es keine Lüge, Täuschung ist es allemal. Darüber zeigt sich ein weiteres Mal, was passiert, wenn man die Struktur eines Klassikers lediglich grafisch auf eine moderne Form aufträgt: Es wirkt, als sei das hübsche, treue und etwas selbstzufriedene Gesicht des 500 aufgeblasen worden wie ein Ballon, so dass die Scheinwerfer-Augen nach oben wandern. So entsteht, auch mit Hilfe des Lufteinlasses, ein Clowns-Gesicht, dessen Ausdruck irgendwo zwischen albern und bösartig zu finden ist.
Nissan geht den Thema ganz aus dem Weg. Hier sieht man das Familiengesicht mit den Schnurrbart-Lufteinlässen. Die Scheinwerfer sind mit ihren amorphen Konturen nicht gerade schön und heute auch nicht mehr zeitgemäß, zumindest sind sie aber eigenständig, originell und zeigen eine interessante Lösung für einen wirklich von überall her sichtbaren Blinker.
Leider: Für mich ist der neue FIAT in dieser Form nichts weiter als ein oberflächliches Modeprodukt – erfolgreich, beliebt, aber ohne rechte Substanz. Dabei wäre es hochinteressant gewesen, in diesen Dimensionen das Erbgut eines der wichtigsten Fahrzeuge der Autogeschichte umzusetzen. Der Nissan zeigt, dass das prinzipiell machbar ist – wenn man es substanziell angeht und in Kauf nimmt, dass nicht jeder es nach dem ersten Blick versteht.

Montag, 25. Januar 2010

Volkes Stimme und die Oberklasse

A8, 7er, S-Klasse
Eine der unser vernetztes Leben prägenden Erscheinungen ist die Tatsache, dass jeder Mensch, der über einen Computer verfügt, seine Meinung öffentlich machen kann. 
Wir leben eigentlich nicht so sehr in einer Informationsgesellschaft, es ist eher eine Meinungs-Äußerungs-Gesellschaft. 
Das ist gar nicht so schlecht. 
Auch ich profitiere davon, indem ich z.B. in dieses Blog hineinschreibe.
So konnte man also schon wenige Tage nach der prachtvollen Präsentation des neuen Audi A8 in Miami an allen Ecken und Enden des Internet (und in der Fachpresse) Urteile über dieses neue Oberklasse-Auto lesen. Die meisten Kritiker beschränkten sich wenigstens darauf, ihre Meinung zum Aussehen des Fahrzeuges zu äußern – in Sachen Design ist ja jeder gern ein Fachmann.
Ich will mich in diesen Zeilen nicht lange damit aufhalten, dass so ein A8 nicht gleichzeitig “wie ein aufgeblasener A4”, “genau wie der alte” und “ziemlich wie ein BMW” aussehen kann. Die gründliche Divergenz dieser Aussagen zeigt schon, dass da etwas nicht stimmen kann.
(Vergleiche mit anderen Autos sind unter Fachleuten ohnehin verboten. Man stelle sich einfach mal vor, Architektur würde so beurteilt…)

Der Witz solcher Praecox-Urteile liegt nämlich vor Allem darin, dass sie auf der Basis von drei oder vier Pressefotos oder eines YouTube-Filmchen getroffen werden. Der Rest ist Vorstellung, Idee, ist halb-bewusstes Parallelen-Ziehen. Und weil man sich einfach nur vorstellen kann, was man schon gesehen hat, kommt man so schnell zu diesen “sieht aus wie…”-Sätzen. Ich habe den A8 auch noch nicht im richtigen Leben erlebt. Aber als jemand der sich professionell damit beschäftigt, wie Sachen aussehen und wirken wage ich hier die Behauptung: Ihr werdet staunen. Ich traue dem Fahrzeug eine Präsenz, Würde und Kraft zu, die sich aus den Fotos unmittelbar kaum erschließt. In Proportionen war Audi immer schon gut. Wie die optische Gewichtsverteilung dieses Riesenautos wirkt, wenn es materiell anwesend ist, das kann man erst mal nur ahnen. Mit Sicherheit trägt die fast schon dramatische Flächenbehandlung das ihre dazu bei, dass der immer noch klare Fahrzeug-Körper als ein “lebendiger” Körper wahrgenommen wird – und das unterscheidet den neuen Oberklasse-Audi positiv von seinem Vorgänger.
Dramatische Flächen und Kanten kennen wir sonst ja eher von BMW, auch wenn der alte 7er hier nicht geglänzt hat – es fehlte an Spannung und “Zug” in dem Gefüge. Der aktuelle ist hier ganz “State-of-the-Art”, und er hat noch etwas Wichtiges hinzugewonnen: Die feine Balance der Proportionen. Mit Beginn der Ära van Hooydonk hat man sich nämlich in München wieder daran erinnert, dass ein Auto keine bloße in Blech geformte Idee ist, sondern auch ein Volumen, ein Gewicht und eine Form hat, dass also das Blech eine feste und unüberwindliche Grenze zwischen einem Innen und einem Außen darstellt. Nun stimmen Spannung und Proportion, und man kann sich über den Anblick redlich freuen (mal vom Heck abgesehen, aber BMW-Hecks sind eine ganz andere, ganz eigene Geschichte).
Wir haben also zwei relativ neue deutsche Oberklasse-Autos, die von zwei verschiedenen Seiten her einem Ideal von Ausgewogenheit und Spannung einigermaßen nahe kommen (und dabei erfreulich verschieden aussehen). Und wir haben den Platzhirsch, die S-Klasse, die immer noch als Referenz gilt. Wäre sie es in Sachen Formgestaltung – die Mitbewerber lägen falsch. Denn hier ist von Verfeinerung, skulpturaler Oberflächenbehandlung oder subtiler Ausgewogenheit keine Spur. Die Form kann von jedermann sofort verstanden und vermutlich auch beschrieben werden, der sie einmal bewusst angeschaut hat. Die Radhausbacken haben etwas fast comic-haftes, die steil ansteigende gebogene Lichtkante auf den Flanken geht in dieselbe Richtung, und Details wie die in Wagenfarbe lackierten Blendchen auf den Heckleuchten (erwartungsgemäß nun weg-modellgepflegt) gehören in die beliebte Rubrik “Design für Doofe”. Das ist alles gar nicht so böse gemeint, wie es vielleicht klingt. Denn die S-Klasse hat damit einen formalen Trumpf, den keiner der beiden Mitbewerber ausspielen kann: Unmittelbare formale Verständlichkeit. Ja, die S-Klasse sieht in Wirklichkeit genau so aus wie auf den Fotos. Front, Seite, Heck – gesehen und verstanden. Attraktiv wird sie dadurch für alle die, die sich mit formalen Feinheiten, der Spannung von Lichtkanten oder der Gewichtung des Greenhouse zum Körper nicht beschäftigen wollen oder können. Solche Menschen gibt es, viele von ihnen haben Geld. Die anderen schreiben manchmal Leserbriefe über das Design von Neuerscheinungen an Auto-Bild.
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Für die derzeit erfolgreichste Luxusmarke der Welt, Louis Vuitton, arbeitet seit einigen Jahren Marc Jacobs, der Mann, der angeblich den Grunge erfunden hat. 
In der Frühjahrs/Sommer-Kollektion 2010 zeigen seine Models nicht nur riesige Afroperücken und Schuhe, die mit Federbüscheln dekoriert wie Vogelfüße aussehen, sie tragen auch unendliche Variationen subtil zerstörter oder veränderter Stoffe, Schnitte mit charmanten – und handwerklich anspruchsvollen – Fehlern und immer neue, ziemlich verrückte Varianten des berühmten (durch millionenfaches Kopieren schon fast unmöglich gewordenen) Logo-Druckes. Hier kommt alles zusammen: Das spektakuläre, sich auf den ersten Blick erschließende. Das raffiniert- detaillierte. Und die Kunst der Proportion. 
Mercedes, BMW und Audi, gewissermaßen.
Vielleicht wäre das ein kultureller Impuls für die Automobil-Oberklasse: Haute Couture von positiv wahnsinnigen Designern mit Hirn, Herz und Hand. Neu entdeckt werden würde auf diesem Wege bestimmt etwas, das im Augenblick im Autodesign eher kurz kommt, nämlich Witz, Charme und feiner Humor. Oder dürfen wir etwa die leicht unverschämt gezackten LED-Augen des A8 bereits in diesem Sinne verstehen?

Freitag, 22. Januar 2010



Interessantes Kommunikationsexperiment:

Was in rund zwei Jahren Designentwicklung gedacht und gefunden wurde, sammelt sich hier in 3 Minuten.
So falsch er ist: Der Film zeigt irgendwie doch einen Teil der Wahrheit...
Übrigens eine elegante Verneigung vor dem legendären Picasso-Film von 1949.

Donnerstag, 21. Januar 2010

2004 schrieb ich:

»In unserer Kultur der Bewegung ist die Form eines Autos zu einer Aussage über den geworden, der sich damit umgibt. Es gibt Unterschiede in der Deutlichkeit, doch die Auswahl eines in vieler Hinsicht so wertvollen Gegenstandes ist unweigerlich die Entscheidung für eine bestimmte solche Aussage.
Dass die Autoindustrie mit diesen Aussagen arbeitet – dass also, direkt formuliert, das Design eines Autos zu einem der wichtigsten Hilfsmittel im Wettbewerb geworden ist, das ist kein Geheimnis mehr.
Der normale Autobesitzer wird sich wahrscheinlich darüber im Klaren sein, dass die Form seines Autos zu seiner Kaufentscheidung beigetragen hat. Er wird vermuten, dass es ihm eben “gefallen hat” – und, vielleicht ein wenig schuldbewusst, erkennen, dass dieses emotionale Motiv stärker war als manches sachliche Argument, wie Verbrauch, Platzangebot oder erwarteter Wertverlust. Was er sich in aller Regel nicht klar gemacht haben dürfte ist, warum ihn ein bestimmtes Modell mehr anspricht als andere vergleichbare.
Es geht bei der Gestaltung eines Autos nicht darum, sich von verschiedenen Seiten einer abstrakten Optimalform zu nähern. Es geht vor allem anderen darum, der Form eine Art Seele einzuhauchen, ihr eine Aussage zu geben, mit der sich der Besitzer identifiziert, ihr einen Charakter zu geben, durch den er sich in seinen Zielen und in seinem erhofften Status bestätigt fühlt, oder besser noch: darüber erhoben. Dieser Ausdruck der Form, diese Sprache der Form ist bei der Gestaltung eines Autos immer schon zentral gewesen.
Ich werde noch zeigen, dass beim Betrachten von Autos normalerweise eine anthropomorphe Übertragung stattfindet. Die Karosserie, die Hülle eines Autos ist also zunächst einmal ein Körper im älteren Sinne des Wortes, sie wird – unbewusst – wahrgenommen wie der Leib eines Tieres und mit ähnlichen Eigenschaften assoziiert. Diese Eigenschaften leiht sich der Besitzer und Beherrscher dieses Körpers gewissermaßen, so wie ein Reiter sich früher die Kraft seines Pferdes lieh und dabei hoffen wollte, dass auch andere Eigenschaften seines Tieres auf ihn übertragen würden. Es geht also um Macht, um die Beherrschung von Kraft und das Besitzen von Schönheit. Das ist ein durchaus erotisch gefärbtes Verhältnis zum Gegenstand – und damit gleichzeitig eines, das ein großes Aggressionspotential birgt…«