Dienstag, 20. Dezember 2011

Lokführer mit Paganini-Syndrom

Designausbildung, Kultur, Zukunft


Vor einigen Tagen hatte ich ein längeres Gespräch mit einem Fahrzeugdesigner. Ich will hier im Text keinen Namen nennen, aber es war schon jemand, den der eine oder andere kennt. Der Grund für meine Diskretion liegt in dem, was der freundliche Herr mir erzählte. Es ging unter anderem um die Kriterien, die bei der Auswahl von Jungdesignern angewendet werden.

Kurz gesagt: Er muss zeichnen können. Und sonst? Er sollte zeichnen können. Und außerdem ist noch wichtig, dass er (oder vielleicht auch sie) gut zeichnen kann. Die "freshe" Skizze ist das Maß aller Dinge. "Fresh" bedeutet: Die Linien müssen schnell und spontan sitzen, d.h. es sollte sichtbar sein, dass kein großer Zeitaufwand nötig war, um Perspektive, Linienführung und Komposition in Griff zu bekommen. "Fresh" bedeutet außerdem, dass das Ergebnis möglichst viel Dynamik ausstrahlt, der Glanz der Lackoberfläche in einer realistisch anmutenden, aber Comic-haft codierten Weise souverän und beeindruckend wiedergegeben ist und aus hell-dunkel und Linien eine grafisch ansprechende und anspruchsvolle Komposition entsteht. Die Linienstruktur einer Scetch entsteht auf einem Blatt Papier oder, heute meistens, direkt auf dem Grafiktablett. Die Zeichnung wird in Photoshop oder in einem dafür konzipierten Car-Styling Programm (z.B. Alias) vervollständigt. Dabei wird eine technische Virtuosität erwartet (und geboten) die mit der eines Solomusikers durchaus zu vergleichen ist. Und man kann diesen Vergleich weiter führen: wie beim Musiker ist Üben, stures, ehrgeiziges, unbeirrtes Üben notwendig, um aus einer vorhandenen Begabung die erwartete Beherrschung der Materie zu entwickeln. Und wie beim Konzertsolisten ist die Konkurrenz hart, der Wettbewerb eng.

Nun ist ja gegen eine solche Kultur der Darstellung wenig einzuwenden. Ein hohes Niveau ist in allen Bereichen interessant und erstrebenswert. Wenn wir aber noch einmal zum Musiker zurückblicken, dann fällt uns ein entscheidender Unterschied auf: Der Virtuose hat als Material seiner Kunst ein Stück, das er spielt, ein komplexes, auf zahllosen Ebenen verwobenes Werk, das in der Regel weder schnell noch leicht entstanden ist, sondern das Ergebnis eines langen, nicht selten qualvollen, kreativen Prozesses eines Komponisten darstellt.
Dieser emotionale Arbeitsprozess gibt, auf Basis des kulturellen Kontextes und der in diesen Kontext auf irgend eine Weise eingehängten gereiften Persönlichkeit dem Werk Substanz und Tiefe. (Und kommen Sie mir jetzt nicht mit Mozart. Die Werke des jungen Wolfgang zeigen auf ihre Weise nämlich genau das Problem, um das es hier geht.) Welches Stück aber spielt der junge Transportation Designer?

Autodesigner ist wahrscheinlich einer der begehrtesten Traumberufe der heutigen Zeit, jedenfalls für männliche Jugendliche aus einem bestimmten sozialen Umfeld. Zehntausende Interessenten treffen auf wenige Hundert Stellen. Um in diesem Umfeld zu bestehen, ist ein eiserner Ehrgeiz oder eine an Besessenheit grenzende Ausschließlichkeit des Interesses (für das Thema Fahrzeugdesign) notwendig – am besten beides in Kombination. Diese Tatsache wird auch an den Hochschulen und von den etablierten Designern immer wieder deutlich kommuniziert. Und so lautet der Titel des Stückes, das der junge Designvirtuose spielt dann auch: "Meine Karriere". Nicht anders.

Es besteht (und das habe ich in dem oben erwähnten Gespräch gelernt) keinerlei Bedarf an Querdenkern, Kulturmenschen, Daniel Düsentriebs oder Experimentatoren. Die ganze Branche hat sich in den Wettlauf um ein auf die Spitze getriebenes "mehr desselben" gestürzt. Wenn gelegentlich ein anderer Eindruck entsteht, dann ist das dem Marketing geschuldet, oder einem Management, das ein wenig "out of the box" denkt. Grundlegende kreative Impulse kommen – und das ist die große Überraschung – im aktuellen Geschäft nicht von den Designern. Sie können überhaupt nicht von dort kommen, denn die Designer sind damit beschäftigt, in einem auf einer sehr engen Bahn durchgeführten Wettbewerb zu bestehen.

Das ist eine zugespitzte Darstellung, zugegeben. Ich will überhaupt nicht bezweifeln, dass unter den Designchefs der großen Konzerne Menschen von beeindruckender Kultur und Lebenserfahrung sind. Und ich sehe natürlich, dass das heutige Automobildesign gelegentlich auf einem Niveau stattfindet, das ohne ein Bewusstsein für den kulturellen Kontext und ohne eine stets wache Wahrnehmung aktueller gestalterischer Strömungen nicht möglich wäre. Aber dennoch…

Der Architekt und Philosoph Patrick Schuhmacher, Büropartner von Zaha Hadid, bemerkt in einem Interview (build, 11. Jahrgang, 2/2011): "Es mangelt vor allem an theoretischer Ambition. Es gibt bisher keinen (…) Versuch einer umfassenden Diskursanalyse und gesellschaftstheoretischen Begründung von Architektur. Die aktuelle Notwendigkeit und Möglichkeit einer solchen Reflexion wird zur Zeit von niemandem (…) gesehen. 'Grand Theory' ist ja ganz allgemein (trotz Luhmann) immer noch verpönt." Er spricht über Architektur. Doch um wieviel mehr gilt das für das Design eines der präsentesten und dominantesten Gebrauchsgegenstände, die wir haben – des Autos! Innerhalb der Branche gibt es nicht den leisesten Ansatz einer über das Formale hinausgehenden Kritik. Und wo es in der Architektur eine Tradition der Theorie auf vielen Ebenen – sozialer, wahrnehmungspsychologischer, ökologischer und ökonomischer zum Beispiel – gibt, da findet sich beim Thema Fahrzeugdesign so gut wie nichts. Otl Aicher war kein Fahrzeugdesigner, und seine nun schon fast 30 Jahre alte "Kritik am Auto" las sich vielleicht zu polemisch, um in den verantwortlichen Köpfen etwas zu bewegen.

Warum ist nun eigentlich gegen die rein handwerklich – wenn auch virtuos handwerklich – orientierte Auswahl von Gestaltern im Transportation Design etwas einzuwenden? Ist es wirklich notwendig, etwas so konkretes wie die Formgebung eines technischen Gegenstandes mit einem abstrakten Überbau zu versehen? Ist das nicht nur Wichtigtuerei? Geht hier nicht etwas verloren, so wie in der Werbegrafik der Charme der Unschuld durch Wahrnehmungspsychologen und Marketing-Theoretiker vernichtet wurde?

Die Antwort darauf hat viele Schichten.

Wenn wir ganz unten, oder besser: ganz innen anfangen, dann erkennen wir, dass – oberhalb des rein Gestaltungstechnischen – ohne eine gewisse Kenntnis von Semiotik und Semantik (siehe hier: Eine Linguistik der Formensprache) als zweite Ebene keine substanzielle Gestaltung möglich ist. Die Branche verlässt sich hier weitgehend auf den individuellen Horizont der jeweiligen Gestalterpersönlichkeit, und sie fährt nicht schlecht damit. Deswegen soll dazu nichts weiter gesagt werden, soweit es diesen Text betrifft.

Auch die dritte Ebene steht in einem sehr engen Zusammenhang mit dem persönlichen Horizont, den Erfahrungen und Werten des Gestalters: Hier findet sich, im weitesten Sinne, Kultur.

Anstatt eine Analyse zu versuchen, möchte ich mit einem Beispiel zeigen, was ich meine. Viele Käufer und Nutzer der Mercedes S-Klasse dürften in einem Umfeld leben, das von hochwertigen handgefertigten Möbeln, oft antike Stücke, geprägt wird. Sie kommen regelmäßig, wenn etwa nicht in ihrem Zuhause, dann doch in Hotels, Besprechungsräumen und ähnlichen Treffpunkten mit echter, hochwertiger Kunst in Berührung. Sie sind gezwungen, ihre Kleidung nach anspruchsvollen Kriterien auszuwählen und müssen, ob sie es wollen oder nicht, ein gewisses Bewusstsein für die Qualität von Schnitten, Stoffen und Accessoires entwickeln. Sie wissen, wie ein guter Schuh verarbeitet ist, und was den Unterschied zwischen einem englischen und einem italienischen Modell ausmacht. Im Falle unseres Beispiels handelt es sich zusätzlich noch um ein sehr konservatives, also auf die Pflege und Weiterführung generationenalter Werte gerichtetes Mileu. Was nun, wenn das Interior eines für eine solche Zielgruppe gedachten Fahrzeugs von einem 26-jährigen, ehrgeizigen und begabten, aber mit der Lebenswelt der Käufer absolut nicht vertrauten Jungdesigner gezeichnet wird? Dieser junge Mann kommt möglicherweise (nein, wahrscheinlich!) aus einer kleinbürgerlichen Familie mit Aufsteiger-Tendenzen. Er mag sich, wenn es gut geht, im Rahmen des Projektes mehr oder weniger intensiv mit Formen und Farben der Zielgruppe auseinandersetzen, die andere, ebenfalls aus einem Aufsteigermilieu stammende für ihn gesammelt und vielleicht in Moodboards dargestellt haben. Aber er wird kaum begreifen können, wie die Wertewelt derjenigen aussieht, für die er gestaltet. Wenn er es doch versucht, wird ihm ein anderes Hindernis begegnen, das "Angler und Fisch"-Problem nämlich. Denn aus der Vielzahl von Varianten, die von verschiedenen Designern entwickelt und dargestellt werden sucht ja nicht der endliche Kunde diejenige aus, die ihm am besten gefällt, sondern das obere Management des Unternehmens. Der Köder, den der Designer in Form seiner Skizze auf den Tisch legt, wird gar nicht danach beurteilt, ob er dem Fisch (also dem Kunden) schmeckt, sondern danach, ob er den Anglern (also den Managern) mundet.

Auch hier wieder: Eine zugespitzte Darstellung, die ein prinzipielles Problem verdeutlichen soll. Das o.g. Beispiel bezieht sich übrigens konkret auf die von 1998 bis 2005 gebaute Reihe W220. Der von VW im Jahr 2002 präsentierte Phaeton ging einen gestalterisch vollkommen anderen Weg – hier hatte, so liest man, Ferdinand Piëch mehr als nur ein Wort mitzureden. Fisch und Angler kamen sozusagen aus ein und derselben Familie, wodurch ein exzellentes Ergebnis möglich wurde.

Aber auch diese dritte Schicht ist immer noch vollständig affirmativ, sie führt zu nichts anderem als zu "mehr desselben".

Deswegen muss, auf einer vierten Schicht, ein gestaltungstheoretisches (nicht gestalttheoretisches) Denken beginnen. Die einfache Frage: Was tue ich hier eigentlich? öffnet dem Designer neue Welten: Manipulation, gesellschaftliche Verantwortung, die Wirkung von Form auf das Verhalten der Nutzer, soziale Faktoren – ein unendlich weites Feld diskursiver Themen tut sich auf. Dieser kleine Text würde sich gewaltig verheben, würde er auch nur andeuten wollen, was da alles denkbar und bedenkenswert ist. Aber schon ist zu sehen, dass diese ganze Meta-Ebene des Gestaltens, gerade im Fahrzeugdesign, nicht nur unbeackert ist, sondern offenbar auch als verbotenes Terrain gilt. Aber eine Veränderung der ganzen Branche, eine Veränderung, die Vernunft, Verantwortung und den leichten, einfachen Spaß zurück bringen könnte, müsste von dieser Ebene aus ihren Anfang nehmen. Genau deswegen können wir eigentlich nicht akzeptieren, dass unsere Fahrzeuge von kleinen Jungs gemacht werden, die sich mit virtuoser Zeichentechnik ihren Traumberuf erkämpft haben. Wir brauchen sie dringend, die Querdenker und Theoretiker, die reifen Kulturmenschen, die Experimentatoren.

Mittwoch, 30. November 2011

Donnerstag, 24. November 2011

Elektromobilität gestalten

Audi Urban Concept, CityEl, Renault Twizy, VW Nils, Studien


Seit 1989 beschäftige ich mich damit, wie ein kleiner leichter Zweisitzer aussehen müsste, der sowohl Ressourcen schonende als auch Spaß bringende Alltagsmobilität ermöglicht.

Meine Überlegungen führten immer wieder dahin, dass ein elektrischer Antrieb den Anforderungen des täglichen Kurzstreckenverkehrs besser gerecht wird als der klassische Verbrennungsmotor. Inzwischen gibt es auch in der Autoindustrie Konsens darüber, dass der E-Antrieb künftig eine Rolle im Mobilitätsmix spielen wird. Im Folgenden möchte ich ein paar grundsätzliche Regeln skizzieren, die nach meiner Auffassung einen erfolgreichen Markteinstieg dieser Technologie sicher stellen.


Regel 1: Divide et impera!

Teile und beherrsche, das ist die erste Prämisse, die zu befolgen sein wird, wenn der Wechsel zur E-Mobilität gelingen soll. Die bisherige Praxis, ein und dasselbe Fahrzeug für alle Aufgaben des Individualverkehrs einzusetzen, kann mit dem aktuellen Stand der Technik nicht fortgeführt werden. Vor uns liegt eine Wegstrecke von geschätzten 15 bis 20 Jahren, bis elektrisch angetriebene Fahrzeuge genau so universell einsetzbar und gleichzeitig einigermaßen bezahlbar sein werden wie das heute Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sind – vorausgesetzt, das Engagement der Autoindustrie in das Thema lässt nicht wieder nach und die Kunden beweisen ein wenig Mut und Verantwortungsbewusstsein.

Für lange Distanzen, zumal wenn sie nicht alleine zurückgelegt werden, wird die Limousine mit Turbodiesel noch sehr lange das effizienteste Werkzeug bleiben, wenn man die Bahn als praktikable Alternative ausschließt. Eventuell könnte es hier eine Entwicklung in Richtung eleganter Großraumlimousine geben, wie sie BMW mit dem 5er GT skizziert hat. Das hohe Gewicht solcher Fahrzeuge und die Tatsche, dass der dort gebotene Raumvorteil in der Praxis wenig Relevanz zeigt lassen allerdings auch der klassischen Limousine – mit Leichtbautechnik – eine reele Chance.

Laut statistischem Bundesamt fahren ca. 17,5 Millionen Deutsche täglich eine Strecke von unter 50 km mit dem Auto zur Arbeit, und zwar alleine. (Nach einer anderen Statistik sind es 75% aller Fahrten auf Deutschen Straßen, bei denen ein Einzelner auf einer Kurzstrecke unterwegs ist.) Jeder Pendler belastet sich durch sein Auto mit (durchschnittlich) 360 Euro im Monat, wovon mehr als 70 Euro allein auf die Treibstoffkosten zurückgehen. Vor allem wird aber die Umwelt durch diese Form des Berufsverkehrs belastet: Mit einem Verbrauch von ca. 40 Mio. Litern Treibstoff und durch die Emission von etwa 6.500 Tonnen CO2 jährlich (in Deutschland). Das ist ein Problem, und dafür existiert bisher keine Lösung. Es wäre nicht nur vernünftig, sondern könnte auch, wie ich im letzten Artikel angedeutet habe, Spaß machen, diese Strecken mit einem eigens dafür designten, wesentlich effizienteren Kleinfahrzeug zu fahren. Mit einem Energie-Äquivalent von unter 1,5 Litern Diesel käme man in einem solchen Gefährt 100 Kilometer weit. Und am Ziel könnten auf gleicher Parkfläche beinahe doppelt so viele Fahrzeuge untergebracht werden wie bisher. Das 1+1-sitzige Kleinfahrzeug wird, wenn auch nur ein Hauch von Vernunft herrscht, kommen. Warum dieses Konzept für die Durchsetzung der Elektromobilität so eine überragende Rolle spielt, werde ich weiter unten noch zeigen.

Als Drittes wird es Plug-In Hybride (Toyota Prius) bzw. Elektrofahrzeuge mit einem fossil betriebenen Range Extender (Opel Ampera) geben. Auf verschiedenen Wegen erreichen diese beiden Technologiekonzepte das selbe: Auf kurzen Strecken kann das Auto elektrisch und damit emissionsfrei unterwegs sein. Es kann mit regenerativ gewonnenem Strom geladen werden. Und es behält am Ende der Batteriekapazität durch den Verbrennungsmotor seine Autonomie, kann also auch für längere Strecken eingesetzt werden. Solche Fahrzeuge haben bereits jetzt einen besseren Systemwirkungsgrad als konventionelle Autos. Sie sind allerdings technisch relativ aufwändig, schwer und (noch) teuer. Außerdem ist die elektrisch Reichweite viel zu klein, was in erster Linie damit zu tun hat, dass die Akkus eine extrem hohen Anteil an den Gestehungskosten haben; die Hersteller sind an dieser Stelle zum Sparen gezwungen, um einen halbwegs markfähigen Preis erreichen zu können.

Es gibt also, grob gesagt, drei Konzepte, deren jedes seine Vor- und Nachteile hat. Wenn man sich die Nutzungsprofile der drei verschiedenen Fahrzeuggattungen ansieht, erkennt man vielleicht, dass sich jede der drei am besten entwickeln würde, wenn sie das getrennt von den anderen beiden tun könnte. Die schnelle Hochleistungslimousine für Langstrecken sollte nicht durch Hybridtechnik belastet werden (solange diese noch schwerer ist als der konventionelle Drivetrain). Die teilelektrischen Universalisten sollten sich in Ruhe aus der Nische exklusiven Vorreitertums herausentwickeln können, in der sie bereits eine Rolle auf dem Markt spielen. Und das kleine Fahrzeug für die tägliche Kurzstrecke wird nur dann ernst genommen und begehrt werden, wenn mit ihm auch gleich ein eigenes Leitbild geschaffen wird, das sich von dem herkömmlichen Vorstellungen vom "Auto" emanzipiert.


Regel 2: Small is electric.

Warum ist es für die Durchsetzung der Elektromobilität eigentlich so wichtig, kleine Fahrzeuge zu haben? Belastet man die ohnehin mit Misstrauen betrachtete neue Technologie nicht zusätzlich und unnötig, wenn man sie dem Kunden in einem unbekannten, erklärungsbedürftigen Fahrzeug präsentiert? Die erste Antwort hierauf – und an ihr kommt niemand vorbei – findet sich beim Blick auf die Preise von elektrischen Energiespeichern. Egal, welches Konzept man betrachtet: Die Akkus machen, je nach Leistung, rund die Hälfte des Fahrzeugpreises aus. Bei elektrischen Hochleistungssportwagen wie Tesla oder Fisker dürfte dieser Anteil des Energiespeichers an den Gesamtkosten sogar noch höher sein. Der Preis für den Energiespeicher ist ein direkter Faktor des Fahrzeuggewichtes. Je leichter das Fahrzeug ist, desto weniger Akkus brauche ich, um es zu bewegen. Da Akkus heute noch relativ schwer sind und einen ganz erheblichen Anteil am Fahrzeuggewicht haben, zahlt sich jedes eingesparte Kilo gewissermaßen doppelt aus: Weniger Gewicht bringt weniger benötigte Kapazität bringt weniger Gewicht. Und am Ende steht ein günstigerer Preis.

Nähert man sich dem Thema: Wie können Millionen von Menschen täglich auf vernünftige Weise individuell ihre kurzen Strecken zurücklegen? von der anderen Seite, dann trifft man natürlich wieder auf den kleinen, leichten Zweisitzer. Wenn für 4 Personen ein 1.500 kg schweres Fahrzeug nötig ist, dann sollte doch für eine einzelne Person ein Fahrzeug genügen, das nicht mehr als 500 kg wiegt? Mit einem kleinen Verbrennungsmotor könnte sich dann ein Durchschnittsverbrauch von um die 2 Liter / 100 km realisieren lassen, was ja auch nicht schlecht wäre.

Das Problem dabei ist, das "Downsizing" seine Grenzen hat. Ein so kleiner Verbrennungsmotor wäre nicht nur in Sachen Komfort und Leistungscharakteristik unbefriedigend, mit ihm ließe sich der Gewichtsvorteil in der Praxis auch nicht vollständig in einen Verbrauchsvorteil ummünzen. Der Elektroantrieb hingegen lässt sich im Prinzip frei skalieren, denn an der "typisch elektrischen" Art, Leistung zu entfalten ändert sich nichts, egal, wie der Antrieb dimensioniert wird: Immer gibt es das volle Drehmoment über den gesamten, sehr breiten Drehzahlbereich und kaum Vibrationen und Geräusche. Und anders als bei einem konventionell angetriebenen Fahrzeug kann die technische Peripherie (die beim E-Motor ohnehin superschlank ist) mit skaliert werden – bis hin zu den Akkus.

Das kleine Fahrzeug muss also elektrisch sein, um leistungsfähig zu sein.
Und das Elektrofahrzeug muss klein sein, um wettbewerbsfähig zu sein.
Small = Electric. Und beides zusammen ist vernünftig und macht Spaß.


Regel 3: Bitte kein Auto bauen.

Der Tazari Zero ist im Moment das wahrscheinlich leichteste Fahrzeug, zu dem jeder auf den ersten Blick "Auto" sagen würde. Er hat eine "Motorhaube", eine Windschutzscheibe, zwei richtige Türen, eine Heckklappe und sieht insgesamt aus wie ein frecher kleiner Bruder der heute üblichen Kompaktwagen im Two-Box-Design. Bei näherer Betrachtung schwindet der zunächst gute Eindruck, den der kleine Italiener macht: Das niedrige Gewicht ist mit dünnen Verkleidungsteilen, spartanischen Sitzen und einem etwas verrutschten Maßstab erkauft. Als 95-Perzenziler (d.h. nur 5% aller Männer sind größer) fühlt man sich darin ein wenig wie Gulliver in einer Theaterdekoration des Zwergenlandes. Es gibt hier sehr robuste und schön gestaltete Details, gute Proportionen, aber trotzdem hat der Zero im direkten Vergleich mit einem "richtigen" Auto keine Chance. Es ist Versagen auf hohem Niveau, und genau deswegen führe ich dieses Fahrzeug hier als Kronzeugen gegen jede Autohaftigkeit bei kleinen Elektrofahrzeugen an: Es führt kein Weg zum miniaturisierten und dennoch respektablen "Auto".

Noch ist es relativ schwer, sich vorzustellen, wie so ein schmaler, elektrisch angetriebener Zweisitzer aussehen muss. Sicher ist nur, dass er tatsächlich schlank sein muss. Er muss ein kleine Stirnfläche haben, denn auch bei den Geschwindigkeiten unter 130 km/h, die für derartige Fortbewegungsmittel üblicherweise angenommen werden, spielt der Luftwiderstand schon eine wichtige Rolle – über 80 km/h ist es sogar die Hauptrolle im Ensemble der Fahrwiderstände. Den selten oder nie genutzten zweiten Sitz neben den Fahrer zu montieren, und damit ohne Not die Stirnfläche zu verdoppeln, ist demnach eigentlich keine Option. Und nicht nur die Optimierung der Fahrwiderstände, sondern auch die der Fahreigenschaften verlangt nach einem schlanken Körper: Länge läuft, sagt der Segler und auch die Natur zeigt uns, wo' s langgeht: schnelle (effiziente!) Tiere, solche die jagen, haben üblicherweise nicht die Proportionen eines Würfels.

Und das bringt uns zwanglos zu den weniger greifbaren Gestaltungsfaktoren, dazu nämlich, wie ein akzeptables, besser: ein reizvolles Leitbild für solche Kleinfahrzeuge aussehen könnte. Vielleicht haben Opel beim Rak-E und auch Audi mit den beiden Urban Concept das mit der Sportlichkeit etwas übertrieben.

Doch gerade an den Audis kann man schon recht gut erkennen, dass so ein Fahrzeug attraktiv, dynamisch und absolut unpeinlich gestaltet werden kann. Mir persönlich ist hier noch etwas zu viel Auto im Genpool und, vor allem, halte ich diese Fahrzeuge im Hinblick auf ihre voraussichtliche Nutzung für zu niedrig, die Sitzposition zu nah an der Straße. Aber die Untiefe der Vergleichbarkeit mit etwas, das ähnlich aussieht, aber größer und respektabler auf der Straße steht ist hier schon mal erfolgreich umschifft.


Regel 4: Sicherheit in Klein geht anders.

In dem weiter vorne geposteten kleinen Präsentationsfilm vergleicht Audi-Designer Wolfgang Egger den Urban Concept mit einem Insekt. Er bezieht sich dabei auf die Beweglichkeit. Aber auch beim Thema Sicherheit könnte ein Blick auf diese Lebewesen Erhellendes zeigen. Sie überleben in einer Welt, in der fast alles größer ist als sie selbst, weil sie eine harte Schale haben. Das Exoskelett ist die Lebensversicherung der Kleinlebewesen. Wenn man das im Kopf behält, erkennt man den tendenziellen Unsinn des Satzes: Der hat ja gar keine Knautschzone – wenn er auf Kleinfahrzeuge bezogen wird. Die Knautschzone befindet sich im Speckgürtel großer und schwerer Fahrzeuge, und sie dient dort dazu, kinetische Energie abzubauen, die anderenfalls mit voller Wucht die Insaßen treffen würde. In einem kleinen, leichten Fahrzeug sieht die Welt ganz anders aus: Die geringere Masse bedeutet auch weniger Energie, die im Falle des Falles vernichtet werden müsste.

Der CityEl, eigentlich das älteste in Deutschland kaufbare Elektrofahrzeug, wiegt runde 350 kg. Seine Karosserie besteht aus einer Kunststoffwanne, in die zum Schutz des Fahrers ein Überrollbügel aus Stahlrohr eingeschraubt ist.

Mit diesem Gefährt, das subjektiv kaum mehr Schutz bietet als ein Kinderwagen, hat es in der langen Zeit seit er auf dem Markt ist natürlich einige Unfälle gegeben. Ein einziger davon hatte den Tod des Fahrers zur Folge. Der Grund für diese dennoch gute Bilanz: Die Schale ist immer noch hart genug, um den Insaßen zu schützen, bevor das Fahrzeug durch die kinetische Energie und aufgrund seines geringen Gewichtes einfach aus dem Gefahrbereich geschleudert wird. Unfälle im CityEl gehen deswegen beinahe immer glimpflich aus. Versieht man ein ähnlich leichtes Fahrzeug mit einer wirklich festen Rahmen- bzw Schalenstruktur und kontrolliert man zugleich das Verhalten im Kollisionsfall (z.B indem die Horizontalbewegung bei einem Frontaufprall gezielt in eine Vertikalbewegung umgewandelt wird), dann hat man ein in Sachen Sicherheit absolut konkurrenzfähiges Transportmittel. Das Problem ist also weniger die fehlende passive Sicherheit, das Problem sind eher die Ideen und Erwartungen der Kunden. Aufklärungsarbeit wäre nötig, aber auch Erfolg versprechend. Schließlich haben die Menschen auch gelernt, Gurte zu tragen. Und rein instinktiv ist eine feste Schale vielleicht sogar eher Vertrauen erweckend als ein Korpus mit gewollt weichen Zonen.


Regel 5: CFK nicht überschätzen!

BMW hat im öffentlichen Bewusstsein eine sehr enge Verbindung zwischen Elektroantrieb und einer Karosserie aus kohlestofffaserverstärkten Kunststoffen hergestellt.

Fahrzeuge der Submarke BMWi werden, so sind die Erwartungen, den E-Antrieb mit einem CFK-basiertem Leichtbau kombinieren. Das ist naheliegend und es ist leicht zu kommunizieren, denn das Material ist schon seit vielen Jahren als besonders leicht und fest bekannt. So wird es allgemein vor allem mit dem Rennsport assoziiert, sicher keine unerwünschte Gedankenverbindung.

Aber kohlestofffaserverstärkte Kunststoffe haben ein paar peinliche Nachteile, über die man schon jetzt reden und nachdenken sollte. Das Thema Recycling ist im Hinblick darauf, dass die Mobilitätslösung der Zukunft nachhaltig sein muss sicher besonders interessant. Fakt ist: Formteile aus CFK lassen sich überhaupt nicht recyceln! Das Material kann zwar mittlerweile so zerlegt werden, dass es nicht zum Sondermüll wird, der noch Jahrzehnte nach Ende der Nutzung gelagert werden muss. Aber eine ernsthafte Wiederverwendung von CFK ist ausgeschlossen. Der Verbund aus Fasern, die bei der Zerstörung scharfkantigen, mirkofeinen Staub bilden, und nicht einschmelzbaren Duroplasten ist umwelttechnisch mit mehr Problemen belastetet als uns allen recht sein kann.
Dazu kommt, dass sich CFK-Teile kaum reparieren lassen. Im Falle eines strukturschädigenden Unfalls bleibt nur der Austausch, oder in seltenen Fällen die Wiederherstellung mit einem aufgesetzten Reparaturteil. Immer entstehen dabei Kosten, die spürbar höher sind als die für eine konventionelle Reparatur.

In der Fachzeitschrift OEM&Lieferant, 2/2011, S. 12 beschreibt Siegfried Frick, Head of Automotive Supplier beim Unternehmensberater Deloitte Germany diese Probleme ausführlich, und er fügt hinzu. "…die Vorteile der Faserverbundkunststoffe werden gegenwärtig erheblich überschätzt." Er verweist darauf, dass Magnesium und Aluminium höheres Potential haben und eine Legierung aus beidem mit Mangan sehr viel versprechende Eigenschaften zeigt.

Zu ergänzen wäre, dass auch mit den klassischen Materialien dank neuer Technologien große Fortschritte bei der Gewichtsreduzierung gemacht werden. So genannte Tailored Blanks, also Stahlplatinen mit wechselnden Stärken, Umformtechniken für Hohlteile mit Wasser- oder Luftdruck, hochfeste Bauteile aus formgehärteten Stahl – das alles ist bereits verfügbar und hilft, Gewicht zu sparen. Nicht zuletzt eröffnet die Überwindung der jahrzehntelang üblichen Schalenbauweise neue Möglichkeiten. Aus dem ASF, dem Aluminium Space Frame wird bei Audi im Moment der MSF entwickelt, also der Multi Material Space Frame, bei dem jedes einzelne Element aus dem jeweils optimalen Werkstoff (und in dem jeweils am besten geeigneten Verfahren) gefertigt wird.

Die homogene, selbsttragende Stahlkarosserie hat langsam ausgedient. Das wird – zumindest wäre das vernünftig und angemessen – auch Auswirkungen auf die Gestaltung der Fahrzeuge haben. Noch werden gebogene Strangpressprofile hinter herkömmlich geformten Aussenschalen verborgen. Die Designer haben ab sofort die schöne Aufgabe, sich mal wieder mit Fertigungstechniken und Materialien zu befassen, und die Chance, den neuen Techniken einen gewissen Einfluss auf die Formensprache zu gewähren.


Am Ende steht die Erkenntnis, dass der Wechsel der Antriebstechnik auch zu einem Wechsel der Konzepte und der Formen führen wird. Erwartungen, man könne das Auto behalten und einfach den Antrieb austauschen, werden wahrscheinlich enttäuscht werden. Die Auswirkungen dieses Wandels werden letztendlich auch die Einstellung zum und den Umgang mit dem Fahrzeug verändern. Wie im vorherigen Text schon angedeutet: Der Gegenstand wird mehr für seine Leistung und weniger für seine Erscheinung geschätzt werden. Der aggressiven Selbstdarstellung, die bisher weit verbreitet ist, wird die Grundlage entzogen. Junge Stadtbewohner, für die das Auto eine vollkommen andere (und erheblich geringere) Bedeutung hat, werden die ersten sein, die hier einsteigen…

Montag, 17. Oktober 2011

START Elektro

Das Ich und sein neues Auto

»Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gestz werde,« so lautet der von Immanuel Kant formulierte »kategorische Imperativ«. Ein ziemlich deutscher Gedanke ist das, ohne Zweifel auch ein recht guter. Bedauerlicherweise wird er in seiner Bedeutung gerne auch mal auf den Kopf gestellt, so nämlich, dass die Maxime des eigenen Handlens allgemeines Gesetz werden müsse. Das steht da aber nicht und so ist es auch nicht gemeint.
Ohne je formuliert oder auch nur gedacht zu sein, gewinnt dieses Missverständns leider seit einigen Jahren wieder mehr Raum. Zu gleicher Zeit wird der Individualismus als einer der wichtigsten handlungsbestimmenden Werte erlebt. Und beides zusammen ergibt eine merkwürdige Zwickmühle, in der wir alle, mehr oder weniger, stehen: Einerseits ist uns um Unterschied zu tun, darum, ein sichtbar eigenes, besseres Leben zu führen als andere. Wir wollen aber andererseits auch, dass unser Leben in gewissem Umfang als sozial verbindlich, vorbildlich also, anerkannt wird. Was daraus folgt ist eine Haltung mit etwas Anmaßung, etwas, das sich auch so beschreiben lässt: Jeder ein Fürst in seinem eigenen Kleinstaat.

Ich betreibe diese Bauklötzchen-Philosophe am Anfang eines Textes über den möglichen Wandel im Mobilitätsverständnis, weil mir der beschriebene Sachverhalt zu erklären scheint, was ich im Hinblick auf Autokauf und Fahrzeugnutzung immer wieder beobachte: Kampf, Rechthaberei, witzlose Machtspielchen. Das Auto ist auch eine Hülle für das Ich, ein Werbevehikel zur Darstellung des eigenen Wertes (im doppelten Wortsinn). Als solches drückt es nicht zuletzt aus, was wir von unserem Nächsten halten.

Michael Winter beschreibt in seiner, von ihm so genannten, Polemik "Das Ich und sein Auto (Süddeutsche Zeitung, 17.18.9.2011, WE- Beilage, Seite V2/b – Online-Variante hier) das Automobil als Hilfsmittel zur Distinktion. »Das wichtigste und teuerste Gut wird in Zukunft nicht Gold, sondern Distanz sein,« sagt er, "»Um Distanz unübersehbar zu markieren, ist Vermögen gleichwohl unverzichtbar.«
Aber Distinktion ist eben gar nicht in erster Linie Abstand, ist nicht tatsächliche Distanz, sondern es ist zur Schau gestellter, eben markierter Abstand – und genau darum geht es im heute immer heftiger ausgefochtenen Machtkampf auf der Straße. Dabei gilt, laut Winter, und wer würde da nicht gerne zustimmen: »Der individuelle Autoverkehr ist von Hochstaplern bevölkert.«

In der Tat: »Mehr Scheinen als Sein,« ist schon eine Devise, die auf deutschen Strassen gilt. Man muss das nicht so sehr auf das Produkt selbst beziehen (die technische Leistungsfähigkeit von Autos übertrifft möglicherweise oft das Versprechen, das ihr Erscheinungsbild macht). Der Vorwurf der Hochstapelei bezieht sich eher auf die wirtschaftliche Potenz des Besitzers oder auf die Nutzbarkeit solcher Spitzentechnik durch ihn. Was wir sehen ist das Ergebnis einer jahrelangen Aufrüstung. Mehr Schönheit, mehr Sicherheit, mehr Leistung, mehr Aufwand werden von Modellgeneration zu Modellgeneration eingesetzt – um letztlich immer wieder die selben Funktionen, seit 30 oder 40 Jahren beinahe unverändert, zu erfüllen: Mobilität, Individualität, Distinktion. Man könnte das den Lauf des Fortschrittes nennen und sich daran freuen, wenn da nicht mit dem höheren Aufwand immer auch ein zunehmender Verbrauch von Ressourcen einher ginge. Denn bei, wie gesagt, kaum veränderter Funktion wird immer mehr KnowHow, immer mehr Material, immer mehr Geld investiert – Aufrüstung also.

Winter beschreibt in seinem Text auch die Freude an alten, prachtvollen Autos wie dem Mercedes 300 Sl, und es wird beim Lesen deutlich, dass so etwas wie ein Verlust von Unschuld stattgefunden haben muss. Es ist eben etwas anderes, ob eine Hand voll Persönlichkeiten (rund 300 in Europa, um etwas genauer zu sein) sich an einem ruppig-schönen Extremauto wie dem Flügeltürer freuten, der mit knapp über 200 PS eine Spitzenmarke setzte – oder ob vergleichbare Werte heute in jeder Mittelklasselimousine verwirklicht sind, und ein Vielfaches an Leistung und Aufwand nötig ist, um zur Spitze zu gehören. Diese Spitze ist zudem gar keine, wir stehen eher vor einer stumpfen Front Zehntausender Sich-selbst-wichtig-nehmer. Unsere Welt hat kaum mehr Raum und wenig Verständnis für Unikat und Unikum. Eine Steigerung des Vorhandenen führt zu nichts, jedenfalls zu nichts Wesentlichem. Die Entwicklung ist an ihrem Ende. Die alten Mittel der Distinktion wirken nicht mehr.

Immer wieder (und auch in Winters Text) wird eine Art elektromobiles Horrorszenario gemalt, in dem Unmengen identischer, lächerlich eiförmiger E-Mobile schüttgutartig über die Straßen rutschen, ihre Insassen zu gesichtsloser Fracht degradierend. Ich verstehe die Logik nicht, die zu dieser traurigen Vision führt, und mir scheint, sie beruht eher auf lustigen Science-Fiction-Illustrationen der 1960er Jahre als auf einer Idee davon, wie die Mobilitätskonzepte der Gegenwart in ihrer künftigen Verwirklichung aussehen könnten.

Drei Fragen möchte ich denen stellen, die von sich sagen, einer bevorstehenden Verbreitung elektrischer Kleinfahrzeuge mit Grauen entgegen zu sehen:
Frage 1: Wieso soll diese neue Fahrzeuggattung zu weniger Individualität führen?
Schließlich entsteht hier nicht nur eine zusätzliche Gattung (wie vor Jahren die SUVs oder die Großraumlimousinen), sondern auch eine, die mindestens so viel Spielraum für individuelle Gestaltung oder Ausdruck hat wie jede andere – wenn nicht mehr!
Frage 2: Was ist an einem kleinen, leichten Zweisitzer lächerlich?
In der Tat, es gibt eine Menge Studien und Entwürfe für elektrisch angetriebene Kleinfahrzeuge, die das Attribut »lächerlich« verdienen. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie versuchen, Autos zu sein. Das Leitbild »Automobil« funktioniert aber unterhalb bestimmter Dimensionen nicht mehr. Also muss es zumindest variiert, besser völlig neu definiert werden. Wenn das gelingt, können hoch interessante, im besten Sinne aufregende Fahrzeuge entstehen.
Frage 3: Welchen Status drückt ein E-Fahrzeug aus?
Solange Größe für Macht steht und für Leistungsfähigkeit, werden Kleinfahrzeuge natürlich am unteren Ende der Preis- und Statusskala landen, auch mit E-Antrieb. Aber diese Denkweise stammt aus dem 20. Jahrhundert. Das elektronische Zeitalter hat uns gelehrt, dass Größe und Leistungsfähigkeit keine Synonyme mehr sind. Der Mensch im 21. Jahrhundert will nicht mehr das »Ding« – und davon möglichst viel – er will die Funktion – und diese möglichst verfügbar, diskret und unkompliziert. Vielleicht ist die Automobilbranche eine der letzten, in der dieser Paradigmenwechsel noch nicht vollzogen ist. Die HiFi-Türme der 80er jedenfalls sind bereits sang- und klanglos verschwunden. In diesem Lichte wird deutlich, dass andere, neue Werkzeuge zur Distinktion bereits verfügbar sind.

Die kommende Generation elektrischer, leichter Individualfahrzeuge kann also eigenständig, ernsthaft und leistungsfähig gestaltet werden. Das gelingt mit viel geringerem Aufwand als beim klassischen Auto und folglich auf eine dem Menschen wieder mehr Raum und Bedeutung lassende Weise. Der technische Gegenstand tritt zurück in seine dienende Rolle: Transportmittel, nicht Schild noch Waffe.

Auf der vergangenen IAA haben Audi mit den beiden Urban Concepts, VW mit dem Nils und Opel mit dem Rak-E schon mal gezeigt, dass man sich über die individuelle Ausprägung der neuen Mobilitätsform keine Sorgen zu machen braucht. Im Gegenteil: man sieht hier deutlich, dass eine wilde und fröhliche Pionierzeit bevor steht. Wer darüber lacht, mag stellenweise noch recht haben. Wer das ganze Konzept ins Lächerliche zieht, denkt in dieser Sache wohl einfach noch gestrig.

Man kann in dieser Entwicklung aber auch Freude sehen, Freude darüber, dass der verbiesterte Machtkampf auf den Straßen sich auf leichte und einfache Weise auflösen lässt. Das E-Auto eignet sich eher nicht als neue Bio-Waffe im Straßenkampf. Man kann es als Abrüstungs-Angebot verstehen, als Rückkehr zum Spaß und zum Sport, im ursprünglichen (britischen) Sinne des Wortes.

Dienstag, 4. Oktober 2011

Audi Urban Concept

Ganz locker. Revolution von oben.



Seit 1989 fordere ich solche kleinen leichten Zweisitzer (dargestellt unter anderem in meiner Diplomarbeit). Schön, dass die Etablierten jetzt langsam auch wagen, die Thematik öffentlich zu verstehen.

Mittwoch, 7. September 2011

Das Bauhaus und die Souveränitätsfalle

Design, Kultur, Leben

Ich mag gar nicht daran denken: Wie viel Prozent der Befragten würden bei einem Straßeninterview wohl auf die Frage, was das "Bauhaus" sei mit "eine Baumarktkette" antworten? Wie sehr oder wenig sind sich Menschen, die gestaltete Produkte kaufen, darüber im Klaren, welche unglaubliche Bedeutung diese Gestaltungsschule für das Aussehen unserer Umwelt hat?

Nur zehn Jahre lang wurde am Bauhaus geforscht und gelehrt – unter schwierigen Bedingungen, denn es gab von allen Seiten, besonders aber von der politischen Rechten, erheblichen Widerstand. Und die Studenten waren größtenteils arm. Es gehörte zu den Ideen des Bauhaus, dass der Schüler "ohne den Scheck vom Vater", wie Gropius einmal schreibt, also in Unabhängigkeit und Freiheit, selbstbestimmt lernen und leben sollte.

Seine Bedeutung hat das Bauhaus dann vielleicht auch weniger wegen seines Einflusses auf die Ästhetik des 20. Jahrhunderts. Wichtig ist es viel mehr, weil hier eine waschechte Sozialutopie verfolgt wurde, eine konkrete Utopie, die gleich vor Ort ausprobiert wurde.

Man denkt an strenge Formen und industrielle Produktion, wenn man das Wort Bauhaus hört und vergisst, dass hier nicht nur eine Wiederversöhnung aller gestaltenden Berufe versucht wurde, sondern auch unbändige Spiellust, Frechheit, Experimentierfreude und Optimismus gediehen – und zwar in einem fast klösterlichen Umfeld.

Als ich vergangenes Wochenende durch die Räume des von Walter Gropius 1925 gestalteten Bauhaus lief, traf mich, unvorbereitet, eine tiefe Rührung. Nicht nur, dass es diesen so besonderen Ort, nach tausend und 40 Jahren Ideologie, noch gibt berührte mich, sondern auch, dass er eine solche unprätentiöse Anmut besitzt. Die berühmten Bauhaus-Sofittenleuchten sind in ihrer zerbrechlichen Einfachheit so schön, dass man das Gefühl hat, einen unendlich wertvollen Schatz zu sehen. Kein Foto kann das wiedergeben. Und wenn die Knäufe der Türen des Bühnenraumes in metallgefasste Aussparungen in der Wand gleiten, so dass die Tür in einem echten 90°-Winkel sanft offen gehalten wird, dann hat man den Eindruck, hier sei nicht nur Präzision am Werk, sondern auch eine Art Zärtlichkeit der Dinge. Im Speisesaal stehen Hocker, auch sie berühmt, gestaltet und gebaut in der Metallwerkstatt des Bauhauses. Sie sind sehr einfach, und doch fällt die Würde, die dieses kleine Möbel hat und die es (ohne Rückenlehne) dem darauf Sitzenden lässt, sofort ins Auge – zumal, wenn man vergleicht, worauf heute Tausende von Stundentenhintern schwitzen… Das Ganze strahlt eine irgendwie liebevolle Strenge aus. Liebevoll, weil so viel Energie in die Details investiert wurde, und auch, weil spürbar wird, wie groß der Wunsch war, die Dinge, die Welt besser und wesentlicher zu machen.

Man weiß, dass die Glasfassade des Werkstatttraktes diesen im Sommer zum Treibhaus machte, während im Winter auch innen Minusgrade herrschten. Das Dach das Bauhaus war undicht, die Akustik fragwürdig und die Platzverhältnisse unausgewogen. Kunstgeschichtler nennen dies die "heroische Moderne", und sicher ist ein wenig Heldentum nötig gewesen, um diese Gebäude, die eigentlich Experimentalbauten waren, nutzen und lieben zu können. Aber auch mit diesen Mängeln war die Architektur, das Design, die Gestaltung dieser Zeit wertvoll und gut.

Denn, neben der Arroganz, alles neu und besser zu machen als alle Generationen davor, war da auch so etwas wie Demut. "Wir probieren es!", war die Devise und nicht: "Wir wissen es." Überall wird die Bereitschaft spürbar, das Material zu befragen, technische Prinzipien wirklich zu erforschen und die Gesetze der Wahrnehmung der Dinge durch den Menschen neu zu entdecken. Die berühmte Umfrage unter den Meistern und Schülern, welche Farbe welcher geometrischen Grundfigur entspräche mag uns heute amüsieren. Aber in ihr kommt zum Ausdruck, wie sehr man bereit war, hinzusehen, zuzuhören und Regeln zu entdecken, von den Wurzeln an – radikal.

Was ist in nicht einmal hundert Jahren passiert, dass wir beinahe hochmütig auf diese Zeit und ihre Bemühungen blicken? Ein kleiner Prozentsatz von uns lebt in Wohnungen, deren Gestaltung von Bauhaus-Ideen und Bauhaus-Ästhetik beeinflusst ist. Eine weitere kleine Gruppe lebt in einem Umfeld (oder wuchs zumindest darin auf), das vom Geschmack des 19. Jahrhunderts durchtränkt ist. Aber die allermeisten haben kaum eine andere Wahl, als in einem mehr oder weniger geschmackvoll ausgewähltem Durcheinander von so billig wie möglich hergestellten, mit kalt lächelnder Nonchalance gestalteten und weniger substanziellen als virtuellen Gegenständen zu leben. Und selbst Substanzialität wird heute, wie bei Manufactum, zur Masche, zur Haltung, zu etwas, das man vorzeigt.

Der Unterschied zwischen der politisch oder weltanschaulich motivierten Arbeit der Bauhaus-Gestalter, die in konkreten Produkten mündete und der heutigen Methode, konkrete Produkte mit Lebensgefühlen aufzuladen, um sie verkaufbarer zu machen ist der zwischen zwei Welten. Unsere Welt, mit ihren Zielgruppen, Images und Moodboards knüpft im Grunde an die Frühphase der Industrialisierung an, auch wenn durch die Moderne das Vokabular erweitert wurde und nicht mehr so viele "Stilmöbel" in Fabriken hergestellt werden.

Der Punkt ist, dass es eben nicht um Freiheit geht! Es geht um das Binden von Kaufkraft, das Aktivieren noch der letzten Ressourcen des "Verbrauchers" (was für ein grausames, verächtliches Wort für einen Menschen) für den wirtschaftlichen Erfolg, es geht, letzten Endes, um die Herrschaft des Geldes. Der Designer ist, nolens volens, die Oberhure in diesem Geschäft. Wenn er seine Arbeit ordentlich gemacht hat, hat er dennoch etwas Gutes getan, denn sauber gestaltete, funktionierende und angenehme Produkte sind unter allen Bedingungen besser als schlechte. Aber wenn wir uns fragen, ob wir als Gestalter einmal etwas Wesentliches zur Weiterexistenz der Menschheit, zur Wertfindung und zum "besseren Leben" beitragen können, dann müssen wir vielleicht noch einmal zurück gehen in diese andere Welt, in die Zeit der Utopien und der hoffnungsvollen Zukunftsvisionen.

Die Zeit des Bauhaus war ideologisiert bis zur Unerträglichkeit. Man sieht das an all den Manifesten und Pamphleten, die damals geschrieben und verteilt wurden, aber auch an den Straßenschlachten, politischen Morden und schließlich am kollektiven Wahnsinn des so genannten "Dritten Reiches". Und doch gab es eine heftige Tendenz zu Reinheit und Freiheit am Bauhaus und bei anderen Helden der Moderne. Die Leistung der Moderne besteht nicht so sehr in der Etablierung einer neuen Ästhetik, sondern in der Reinigung der Dinge. Die Gegenstände sollten befreit werden von einer alten Formsprache, die Ideen, Vorstellungen und (größtenteils im Untergang begriffene) Werte transportierte.

Immer wieder ist von Transparenz, Klarheit, Reinheit und Hygiene die Rede, wenn die Moderne spricht. Gerade den letzten Begriff, den der Hygiene, kann man ernst nehmen und ihn mit gutem Gewissen erweitern: Es gibt auch eine emotionale Hygiene, eine Reinheit des Lebensgefühles, eine Freiheit von emotionalen Bindungen an Dinge. Danach hat die Moderne ursprünglich gestrebt, und das wurde von der so genannten Postmoderne als Wert verleugnet oder nicht akzeptiert. Und wir beherrschen das Spiel mit den Emotionen perfekt, wir haben die Materie im Griff, und sie spricht genau so wie wir wollen, damit wir sie noch mehr begehren.

Was würde – und hiermit kriegen wir nun doch recht zwanglos die Kurve zum Automobildesign – was würde geschehen, wenn Autos überwiegend nach Kriterien der Funktionalität und des Nutzens gekauft würden? Wenn der Kampf um das tollere, schnellere, beeindruckendere Auto einfach auf breiter Front beendet würde? Nein, das Leben würde nicht langweiliger, wir würden auch nicht doppelt so lange für die Strecke nach Hamburg brauchen. Was vor allem anderen passieren würde ist, dass jeder Einzelne Ressourcen frei bekäme! Zeit, Geld, Lebenskraft! Wie gerne wird er zitiert, der freche Spruch vom "mit Geld, das man nicht hat Dinge zu kaufen, die man nicht braucht, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag". Aber er ist eigentlich gar nicht lustig. Er ist der Ausdruck einer totalen Abhängigkeit von fremd bestimmten Idealen des Status, durch die jede Freiheit, ein wirklich eigenes Leben zu finden, aufgebraucht wird. Und er ist wahr. Hier liegt die eigentliche stille Kraft, die aus der frühen Moderne immer noch zu uns fließt, wenn wir sie ernst nehmen und ihr ihre Fehler verzeihen: Dass sie uns aus der Souveränitätsfalle führen kann. Die Moderne kann uns lehren zu verlernen, wie wir uns gegenseitig durch Dinge binden und an Dinge binden. Sie kann dem Gestalter seine virtuelle Herrscherkrone nehmen und ihn wieder zum Diener aller machen.

Status, den man kaufen kann hat in Wahrheit sowieso keine Bedeutung – eben, weil ihn jeder kaufen kann. Was also sonst könnte uns motivieren, ein Produkt gut zu finden und es, als Gegenleistung für unsere eigene Arbeit, erwerben zu wollen? Die Moderne hatte ihre eigenen, demütigen und gleichzeitig überschäumend freien Ideen hierzu.

Gehe zurück auf Loos. Ziehe nicht 4.000 € ein. Frage dich, was eigentlich dein Wert ist.


(Fotos vom Autor.)

Dienstag, 30. August 2011

Und, sind wir jetzt zufrieden?

Kleine SUVs: Dacia Duster, Renault Koleos, Nissan Juke, Mini Countryman, Audi Q3, BMW X1, Ford Kuga

Ja, das "Sports Utility Vehicle", wenn es das nicht gäbe… Ihre Existenz und ihren Erfolg verdankt diese Fahrzeuggattung ja gar nicht einem Mangel an Sportlichkeit oder Nützlichkeit dessen, was sonst noch so auf der Straße herumfährt. Das SUV ist vielmehr ein finaler Schlag auf die Tischplatte, wenn es darum geht zu beeindrucken und sich so dem ständigen latenten Straßenkleinkrieg zu entziehen, wer denn nun der Schnellere sei, wer mehr Platz beanspruchen dürfe, wer zuerst komme – nach oben hinaus zu entziehen.

Einige Jahre lang war so ein SUV eine recht elitäre Angelegenheit. Die Dinger waren nicht nur groß, sie beanspruchten auch von den Ressourcen ihres Besitzers mehr, als ein Durchschnittsautonutzer aufbringen konnte oder wollte. Es war ein ziemlich ungehemmtes "aus vollen Hosen ist gut stinken", das da zu teilweise noch etwas ungelenk geformtem Blech geworden war. Aber mit den Jahren kamen immer mehr Marken in das Spiel, und mit ihnen kam Eleganz, geschmeidige Sportwagenhaftigkeit und eine limousinoide Qualität, die den ersten, eher den Nutzfahrzeugen verwandten, SUVs gefehlt hatte (von denen manche noch als "Geländewagen" auf die Welt gekommen waren). Mittlerweile ist durch den Einsatz neu entwickelter Spartechnik aber auch das schöne Gefühl der Hemmungslosigkeit, der fröhlichen Verschwendung verschwunden, das anfangs so viel zum Erfolg der Gattung SUV beigetragen hatte. Auch hier gilt jetzt also: "genießen mit Verantwortung", wie es uns überall suggeriert wird, damit keiner sein Verhalten wirklich in Frage stellt, und doch das schlechte Gewissen niemals ganz verschwindet.

Es ist ja immer so, dass Trends sich aus den "Höhen" der sozialen Schichtung nach unten verbreiten, von der Spitze in die Masse. (Wir wollen hier das Konzept einer solchen "Spitze" einmal undiskutiert hinnehmen, einfach als gesellschaftliche Realität, ohne, vor allem, die eigentlich fällige Kulturkritik an diesem Begriff.) Beim SUV zeigt sich das nicht so sehr, wenn Range Rover mit dem Evoque ein "kleineres" Modell auf den Markt bringt. Es zeigt sich vor Allem am Dacia Duster.

Die Marke Dacia besetzt ja, im Auftrag und mit Hilfe von Renault, den unteren Rand des Preisfeldes, mit geräumigen, soliden, bewusst nicht verfeinerten Funktionsautos. In dieses Produktportfolio würde eigentlich ein nicht allzu großer, einfacher und möglichst unverwüstlicher Geländewagen à la Lada Niva passen. Aber Dacia ist nun ein Kind des 21. Jahrhunderts, mit dem Marketing als Vater. Deswegen gibt es ein recht rassiges, gefällig gestaltetes, Vertrauen erweckendes SUV, über dessen Qualitäten als Zugfahrzeug auf dem Acker oder als ersthaftes Geländegerät sich niemand Illusionen machen kann. Nein, der Duster "macht was her", er ist sozusagen ein Auto mit eingebauter Fernwirkung. Damit ist nicht gesagt, dass er unfunktional ist. Aber das Design weckt, trotz oder gerade wegen der formalen Qualität des Duster, Illusionen. Es ist z.B. die Illusion von Wert, und vielleicht wirkt die bis auf den Besitzer des Fahrzeuges zurück, der den Unterschied zwischen der silberfarbenen Kunststoffumrandung der Instrumente seines Fahrzeuges und einer auf einem Foto ähnlich wirkenden eloxierten Einfassung im Porsche Cayenne nicht in seiner vollen Peinlichkeit wahrnimmt. Hier ist alles sehr auf Effekt aus, und zwischen dem Hersteller und dem Kunden entsteht vielleicht eine Art Verschwörung. Wir – sagt der Hersteller – bieten dir ein Auto, das nach weit mehr aussieht, als es dich kosten wird, und du, Kunde, nimmst dafür die Orgie in Nadelfilz und Hartplastik in Kauf, die dir überall dort begegnen wird, wo andere es nicht sehen. In dieser unausgesprochenen Übereinkunft liegt etwas recht Besonderes, gar nicht mal zu Verurteilendes, eine Art sozialer Service, der zukunftsweisend für die Marke Dacia sein könnte. Als Randbeobachtung sei noch drauf hingewiesen, dass der Duster besonders gerne in einem dunklen Braunmetallic geordert wird, eine Farbe, die BMW mit dem letzten 1er in edelster Weise wieder ein wenig salonfähig gemacht hatte – die ansonsten aber für Autos immer noch als "bäh" gilt.

Renault selbst bietet in der Klasse der kleinen SUVs übrigens den Koleos an, ein verhuschtes, unfertiges, widersprüchliches Designchen, das an dem wuchtigen Namen recht schwer trägt. Mich würde es nicht wundern, wenn Sie noch nie einen gesehen haben…

Apropos Marketing: Nissan Juke heißt die neuste Kopfgeburt von Jungdesignern und Trendforschern. Nissan hat ja mit dem Qashqai eine veritable Cashcow auf die Straße gestellt, ein Crossover aus SUV und Minivan, das offenbar mitten ins Herz der Europäer trifft. Volkswagenhaft ernst, dabei doch flott und mit sehr eleganten Proportionen treffen sich die Linien des Quashqai quasi genau am Schnittpunkt von Spaß und Funktion, Show und Substanz. So macht man in Europa Erfolge: Indem man nichts falsch macht. Dem gegenüber geht Nissan mit dem Juke ein ziemliches Risiko ein. Für den Amerikanischen Markt ist er viel zu klein, für den deutschen (wenn nicht den ganzen europäischen) schlicht zu albern. Problematisch ist dabei vielleicht gar nicht so sehr die bewegte Modellierung, die ein bisschen an Studien der 90erJahre erinnert. Das kann man schon machen, und es passt ja auch zu der erklärten Idee, dem kleinen Wagen etwas vom Charakter eines Motorrades zu geben (diese Idee kondensiert in einer tankförmigen, in Wagenfarbe lackierten Mittelkonsole). Aber man kann am Juke, sozusagen im Negativ, sehen, wie wichtig das Gesicht eines Autos ist. Wenn man ihm die Augen nimmt (und die Scheinwerfer dafür eine Art Nasenlöcher bilden), dann wird es sehr schwer, einen Bezug zu dem Fahrzeug-Tier zu bekommen. Man versteht hier durch das Fehlen einer eindeutigen, irgendwie ansprechenden Physiognomie erst so richtig, wie wichtig diese eigentlich ist, und wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, dass Autos Gesichter besitzen. Man darf gespannt sein, wie das Experiment mit dem Juke ausgeht, jedenfalls scheint mir das plakative, mangahafte Design eher nach Tokio zu passen als in eine deutsche Kleinstadt.

Aus dem Reich der bunten Bildchen scheint auch der Mini Countryman zu uns zu kommen. Zuerst sehen wir, wenn wir uns von der Seite nähern, einen etwas größeren, höheren Mini, Vertrautes, das durchaus pfiffig interpretiert ist und den Maßstabssprung, dank eines schlauen Kniffes in der Dachlinie, ganz gut übersteht. An der Front haben die Mini-Designer dann aber das glatte Gegenteil dessen erreicht, was uns oben beim Juke beschäftgt hat: Der Countyman hat einen Charakterkopf, und selbst wenn einem nichts an diesem Imagetransfer von Mini auf ein kleines SUV gefällt, man muss doch anerkennen, dass hier ein sympathisches Gesicht gelungen ist, ernsthaft, weit weg vom Kindchenschema des eigentlichem Mini und trotzdem als Famlienmitglied erkennbar. Er ist ja schon noch niedlich, der Countryman, aber es ist eher die Cuteness eines mittelgroßen Rassehundes als die von Mickey Mouse. Um ehrlich zu sein: Ich bin von dieser Front so begeistert, dass es mir schwer fällt, noch viel über den Rest des Fahrzeuges zu schrieben. Mir scheint der Countryman jedenfalls authentisch, modern und eigenständig, und das ist wohl das Beste, was man von einem SUV der Modemarke Mini sagen kann.

Authentisch, modern und eigenständig sind Eigenschaften, die man auch dem Audi Q3 zuschreiben möchte. Die Formensprache von Audi ist ja inzwischen so reif, dass mancher beim Erscheinen eines neuen Modells das Gefühl haben mag, er hätte "das" auch gekonnt. Und so ähnlich, wie für einen Europäer der Entdeckerzeit alle Asiaten scheinbar gleich aussahen, so mögen auch für Betrachter ohne viel Design-Erfahrung alle Audis mittlerweile gleich wirken. Aber beide Vorwürfe, der der Vorhersehbarkeit und jener der zu großen Markenähnlichkeit gehen ein bisschen ins Leere. Man könnte auch so argumentieren: Wir alle wissen, wie eine schöner Mensch aussieht, und wir werden davon vermutlich recht ähnliche Vorstellungen haben – einen ähnlichen Stand des "nahe an einem Ideal" hat Audi erreicht, innerhalb der eigenen Grenzen natürlich, und ohne die Leitbilder der einzelnen Fahrzeugklassen zu erweitern. Gestalterischen Fortschritt finden wir im Detail: Die Leuchten an Front und Heck haben noch einmal an Prägnanz gewonnen, der Ausdruck der Front ist total kontrolliert – auch, wenn es hier ein kleines Maßstabsproblem gibt – und in den Seiten findet sich eine subtile Vorwärtsdynamik, die der letzen Audi-Generation noch gefehlt hat. Es ist Feinarbeit, die hier gemacht wurde – offen die Frage, wie lange das noch genügt.

Besonders augenfällig wird die Sophistication, die sich die Ingolstädter erlauben, im Vergleich mit dem BMW X1. Es gibt bei BMW harmonische, interessante und faszinierende Fronten, es gibt eine hohe Kultur der Modellierung, es gibt ein interessantes Spiel von Körper und Grafik. Warum hat der X1 von all dem Guten beinahe Nichts bekommen? Eine heftig bewegte Seite trägt eine zu groß aufgefasste Front, wie eine vorgehängte Maske, deren Ausdruck ein bisschen als gezähmte Version des Alien aus "Alien" rüberkommt. Am Heck erzählt BMW zum X-ten Male den Witz von der nicht passenden Heckklappe (und der dadurch bedingten Stufe in den Rückleuchten). Er wird durch Wiederholung nicht besser, ist aber nun, dank des aktuellen Leuchtendesign mit abknickenden schmalen Lichtbändern, etwas plausibler. Diese Leuchten sitzen so weit oben im Körper, dass sie zwar mit der Heckscheibe eine schöne dynamische Spannung aufbauen, darunter aber eine unbewältigte Fläche lassen, die das Auto mit ihrer kantigen Umrissform staksig und zimperlich wirken lässt. Um es deutlich zu sagen: Der X1 ist für mich nicht nur einer der formal schwächsten SUV, er ist auch das wahrscheinlich unschönste Auto, das BMW heute im Portfolio hat. Die Gründe dafür liegen meines Erachtens in der zu großen Konzentration auf interessante Details – noch bevor eine tragende Linie für das Ganze gefunden war – und in der fehlenden Rücksicht darauf, was diese Details für die Gesamterscheinung bewirken. Raus auf die Straße!, möchte man den BMW-Designern zurufen, Mitbewerber daneben parken, und euer Selbstbewusstsein mal kräftig in Frage stellen!

Man kann auch ein ganz harmonisches Auto machen. Ford hat das mit dem Kuga getan, der wohl entstand, kurz bevor sich das Ford-Design wieder einmal neu erfinden musste (und wir meinen hier dann auch die Version vor der "Modellpflege"). Es lohnt sich, ihn mal anzusehen. Es ist ein wirklich schönes Auto, mit kräftigen, gut proportionierten Linien, trockenen Flächen und knackigen Details. Auf die Frage, warum der Kuga uns noch nie aufgefallen ist, würde, wenn wir es fragen würden, das Designteam des BMW X1 möglicherweise mit einem hämischen Grinsen reagieren.

Vielleicht genügt es eben doch nicht, alles richtig zu machen.

(Alle Bilder: Pressefotos der jeweiligen Hersteller.)

Montag, 11. Juli 2011

Kaputterklären.

Oder: Warum dieses Blog so lange geschwiegen hat.

Der Titel beinhaltet schon den einen wesentlichen Vorbehalt, der dazu geführt hat, dass ich hier seit einem halben Jahr nichts mehr geschrieben habe.

Design ist keine Kunst. Und trotzdem wirkt Design – besonders, wenn es auf einem so hohen Niveau wie in der Autoindustrie stattfindet – auf eine Art und Weise, die sich Erklärungen zum Teil entzieht. Genauer: Es wirkt besser, wenn man es nicht analysiert.

Einerseits ging es mir in diesem Blog genau darum, etwas von der fast magischen Kraft wegzunehmen, die Autodesign entwickelt, weil es unterschwellig (subliminal) wirkt. Wenn Autos mit dem Bauch (oder tiefer gelegenen Organen) zum Kauf ausgewählt werden, dann mag das für die Anbieter ganz lustig sein – gesamtgesellschaftlich gesehen, wäre der Kopf vielleicht doch der bessere Ratgeber. Die Idee der ersten Monate von Autoauge war, dass ein Leser von Designanalysen verstehen kann, was mit ihm passiert, wenn er ein Produkt betrachtet. Er sollte Qualität erkennen und Manipulation durchschauen können, damit die Vernunft und der gute Geschmack ihn leiten anstelle unwillkürlicher Reaktionen (die dann vielleicht auch am Steuer eine zu große Rolle spielen...)

Andererseits geht es hier ja auch um Kultur. Während ich diesen Begriff in seiner ganzen Schönheit im Kopf hatte, bin ich langsam aber sicher zum Schluss gekommen, dass Analyse immer auch Kritik ist, Kritik nicht im Kant’schen Sinne als neutrales Abwägen, sondern Kritik im landläufigen Sinne, als fest stellen von Schwächen und Fehlern. Und das hat mit Kultur, also mit dem Wachsen lassen menschlicher Schöpfung, nicht viel zu tun.

Obwohl ich mich also von Anfang an um einen neutralen Standpunkt bemüht habe (was nicht im Widerspruch zu meinungsstarken Aussagen stehen muss), habe ich mich doch irgendwann in einem Konflikt wiedergefunden – was niemals die Absicht war. Es war der Konflikt zwischen erkannter und nicht erkannter Qualität, der Konflikt zwischen "Gefällt mir" und "Taugt nichts", der Konflikt zwischen Subjektivität und Objektivität, der mir immer wieder begegnet ist und der im Laufe der Zeit jede Motivation erstickt hat, weiter zu schreiben.

Vielleicht wird ein Leser bei den Texten, die in nächster Zeit geschrieben werden sollen gar keine so gravierende Veränderung bemerken, jedenfalls nicht so, dass eine Erklärung wie diese nötig erscheinen mag. Trotzdem möchte ich ankündigen: Es wird offiziell subjektiver, es wird mehr Freude darin sein und es wird nicht immer nur um Autos gehen.

Danke übrigens an die Macher von www.formfreu.de! Drohende Miesepetrigkeit beim Autoauge wurde nicht zuletzt durch eure Blogs verhindert.

Und es ist mir ein Vergnügen, an dieser Stelle auf meine drei Beiträge zum Autostolz hinzuweisen:
http://autostolz.formfreu.de/2011/01/21/mauswauwau/
http://autostolz.formfreu.de/2011/01/28/ausflug-in-kuwait/
http://autostolz.formfreu.de/2011/02/24/bonzenbus-kanarienvogel-und-babybus/
Viel Spaß weiterhin!

Freitag, 4. Februar 2011

Singleframe, das Großmaul?

Im A2-Forum wurde das Thema »Was fasziniert an "Großmaul"-Kühleröffnung?« eröffnet, und ich konnte nicht umhin, einen zwar subjektiven, aber mit sachlichem Background geschriebenen Kommentar dazu zu geben.
Zitat:
Vorgeschichte:

Als ich mein erstes Betriebspraktikum bei Audi machte, habe ich dort öfters Autos (B3) gesehen, bei denen das Frontend abmontiert war. Man sah den Kühler komplett, das kam gut, und ich dachte: "Eigentlich könnten sie sowas mal machen: Einen Grill, der exakt der Größe des dahinter liegenden Kühlers entspricht. Das sieht gleichzeitig klassisch und kräftig aus…"


Fakten:
– Der Singleframe ist, rein flächenmäßig, nicht größer als die "Kühlergrills" anderer Autos. Im Prinzip sind hier einfach nur das obere und das untere Gitter zu einer Form zusammengefasst.

– Bei sehr vielen Fahrzeugen ist der Grill aus aerodynamischen Gründen innen zum großen Teil geschlossen – er ist also ein reines Dekorelement und für seine Form sind funktionale Faktoren praktisch bedeutungslos. Das ist bei allen Marken so.


Grund 1 für den Singleframe: Physiognomie.
Eine Studie hat gezeigt, dass Männer beim Betrachten von Fotos von Autos dieselben Gehirnteile nutzen, die auch bei der Betrachtung von Gesichtern aktiv sind. Das sind evolutionsgeschichtlich sehr alte Gehirnregionen, nahe am Hirnstamm, das "Reptiliengehirn" ist nicht weit. D.h. Wahrnehmung und Reaktion sind nicht durch das entwickelte Denken kontrolliert.
Wie ihr schon geschrieben habt, herrscht auf den Straßen eine Art Krieg: Der andere Verkehrsteilnehmer wird als Feind wahrgenommen, zumindest als Konkurrent. Auch das spielt sich in den alten Gehirnregionen ab, die früher mal für die Jagd zuständig waren. Demnach verspricht ein Design, das Macht und Stärke zum Ausdruck bringt eher Erfolg, als eines, das neutral wirkt. Im Wettbewerb entsteht dadurch ein gewisser Zwang: Wer auf ein ausdrucksstarkes Gesicht verzichtet, verkauft einfach weniger Autos.

Allerdings darf man, vor allem in Europa, auch nicht übertreiben, Reste von Höflichkeit und Kultur sind ja noch vorhanden.


Grund 2 für den Singleframe: Unterscheidbarkeit
Fast noch wichtiger, vor Allem für (…) Audi, ist die Unterscheidbarkeit, die Markenidentität, und zwar bei Tag und Nacht. Der Singleframe war eine Art Befreiungsschlag im Zuge der optischen Identitätsfindung gegenüber BMW und Mercedes (…). Die aktuelle Audi-Physiognomie ist absolut unverwechselbar und nur schwer (ohne Peinlichkeiten) zu imitieren. Aus demselben Grund wird bei allen Herstellen auch intensivst am Design der Lichtquellen gearbeitet – die oft gescholtene "Kirmesbudenbeleuchtung" hat zwei Funktionen: 1.) Unverwechselbarkeit auch bei Nacht schaffen 2.) technische Kompetenz demonstrieren


Aggressiv?

Oft wird argumentiert, der Singleframe wirke besonders aggressiv. Stimmt das wirklich? Schaut euch mal die zugespitzten Nasen, die zusammengekniffenen Augen, das vorgeschobene Kinn [anderer Modelle an]…

Die Audi-Designer selbst sprechen vom "Confident Look", also einem selbstsicheren, zuversichtlichen Gesichtsausdruck.
Das ist, wenn es funktioniert, eine recht elegante Methode, sich aus dem oben genannten Krieg heraus zu halten: Zu signalisieren, dass man es schon geschafft hat und nicht erst kämpfen muss. Im Laufe der vergangenen Modellwechsel hat da auch eine gewisse Verfeinerung stattgefunden, und wo der letzte A6 noch ein wenig nach Darth Vader aussah, wird nun durch die Abschrägung der oberen Ecken ein Eindruck erzeugt, der eher Richtung Hundenase geht, was zweifellos sympathischer ist.
Ich sehe einen Ausdruck von Etabliertheit und Souveränität, wie ihn die Autos der 30er Jahre hatten.

Und der Vorwurf, diese Fronten seien aggressiv, geht an der Wirklichkeit vorbei. Er wird meiner Ansicht nach genau durch diesen etwas arroganten, selbstsicheren Auftritt ausgelöst – haben wir nicht alle gewisse Underdog-Gefühle in uns?


Außerdem ist es natürlich so, dass die Audi Designer eine platte "Punkt, Punkt, Koma, Strich"-Physiognomie (die bei Kleinwagen ok ist) vermeiden wollen – die Parallelen zum Gesicht sollen zwar wirken, sich aber nicht penetrant aufdrängen.


Ich persönlich finde den Singleframe an den meisten Modellen recht passend und gelungen – und angesichts der Tatsache, dass die Frontgestaltung aller Autos sowieso kaum mehr sichtbar funktionalen Faktoren folgt, halte ich das Spiel, das sich Audi hier erlaubt, für legitim bis genial.

Und es gibt noch einen Faktor der mich als Designer an den Singleframe-Fronten besonders anspricht: Sie ermöglichen mehr Ordnung als die klassische Gestaltung und klarere, mit dem Körper harmonische Linienverläufe.


Soviel für heute. Man könnte da noch tiefer einsteigen, aber alles Wesentliche ist wohl erst mal gesagt.